Humorist  Tod, du bist der Vater der Zeugung, und du gabst uns Menschen alles Endliche, bestätigst unsere Sinne, welche Formen sehen, hören, schmecken und bejahst die Ahnung des vielleicht dilettantischen Geistes, damit wir sehen dürfen und eines schauen — damit wir denkend nichts sehen. Ich bin ein Vollstrecker für dich, Tod. Ich will es sagen, daß nur Gestorbene sterben; wenn einer jung und kräftig stirbt, vielleicht stirbt er für einen anderen. Du gabst uns Begierden und Ziele, und wir wehren uns gegen dich durch Zeitloses, durch seiende Ideen, durch den Anspruch auf Totalität. Aber vielleicht sind das deine geringsten Formen.

Tod, du Vater des Humors, wenn dich ein Wunder, das ich in meinen Augen sehe, vernichtete; dein Feind ist das Phantastische, das außer den Regeln steht; aber die Kunst zwingt es zum Stehen, und erschöpft gewinnt es Form. Ich nenne dich, Tod, den Vater der Intensität, den Herrn der Form. So steht es für dieses Leben.« Die Nacht trat in die Stube.

Ein alter Mann kam in die Stube; er sprach: »Verzeihen Sie, ich wohne seit langem unter Ihnen, es fällt mir sehr schwer zu sprechen, bin es seit langem nicht mehr gewohnt. Ich komme, um zu sagen: ich bin seit langem tot durch meinen Willen; ich lebte nur scheinbar, seien Sie bitte dabei, um zu konstatieren, daß ich den Tod hintergangen habe. Ich sterbe als der größte Humorist.« Der alte Herr sank zusammen, er war ruhig und starr. Dann schrie er laut auf und sagte: »Der war doch schlimmer, ich betrog nur das Leben und mich.«  Bebuquin trug den Leichnam in die Wohnung des Alten. Er schaute ihn ein längeres an, dann ging er in seine Wohnung.  - (beb)

Humorist (2)  Er hatte mit einer großartigen Geste begonnen, der liebe Gott. Die Sterne geschaffen aus dem unendlichen Raum, die Sonne aus dem ewigen Licht, zahllose Arten von Pflanzen und Tieren... Auf Kosten hatte er dabei nicht gesehen. Aber um das Weib zu erschaffen, beging er die Knauserei, dem Adam eine Rippe zu entziehen.

Was für ein Humorist, dieser ewige Vater!

Er wußte aus Erfahrung, daß, wenn man liest: Rauchen verboten! man ein unwiderstehliches Verlangen hat, eine Zigarette anzuzünden. Da er Reue empfand wegen der dem Adam und seiner Gattin allzu freigebig gewährten Gaben, wollte er sie ihnen entziehen, ohne eine schlechte Rolle zu spielen; er wandte sich an die Schlange und suggerierte ihr jene ausgeklügelte Schändlichkeit mit dem Apfel, die wjr alle kennen.

Die Schlange war einverstanden mit Gottes Vorschlag.

Frucht dieser Frucht war dieses: die Augen Adams und Evas wurden aufgetan, und sie erkannten, daß sie nackt waren; daher nähten sie aus Feigenblättern nach Maß ein Komplet. Aber wie konnten sie wissen, daß sie nackt waren, da sie nie zuvor Kleider gesehen hatten? Am Morgen danach suchte der Herr Adam auf, der, immer Kavalier, die Schuld auf seine Gattin schob.

Gott ließ sich, ein wenig erbärmlich, den Apfel teuer bezahlen, indem er die Übelkeiten der Schwangerschaft und die Schmerzen des Gebarens erfand. Die Frauen mit der nach rückwärts gelagerten Gebärmutter wissen also, wem sie das zu danken haben, denn Gott sprach: du sollst mit Schmerzen Kinder gebären, die Erde wird Dornen und Disteln hervorbringen, im Schweiße deines Angesichts und desjenigen deines Bäckers sollst du dein Brot essen, und du wirst es teuer bezahlen, denn der Wechselkurs mit Amerika ist entsetzlich hoch.

Dann vertrieb er sie aus Eden und postierte auf der Schwelle Karabinieri mit flammendem Schwert, die er Cherubim nannte. Kurz, die Ehe zwischen Adam und Eva war unglücklich wie alle vereinbarten Eheschließungen.

Was mich aber am meisten abstößt, ist, zu sehen, daß Gott sich dumm stellt. Er ist allsehend, allwissend, er ist es, der alle die schlimmsten Komplikationen veranlaßt, und dann geht er zu Adam und fragt ihn mit heuchlerischer Treuherzigkeit: ‹Was tatest du mit dem Apfel?›

Und er geht zu Kain und fragt ihn: ‹Was tatest du mit deinem Bruder?› Wäre ich an Kains Stelle gewesen, hätte ich ihm einen Faustschlag ins Auge gegeben.

Das Auge Gottes.

Gottes Auge, das alles sieht... und alles hört. Vielleicht hört er auch meine Lästerungen. Und er ist auch in der Lage, mich zu zerschmettern.

Oh, diese Kälte an den Füßen!  - Pitigrilli, Kokain. Reinbek bei Hamburg 1988 (rororo 12225, zuerst 1922)

Humorist (3)  »Abends brachten zwei Unteroffiziere fünf Rekruten, und da man sagte, es wär' ein Mensch darunter, der eine ganze geschlagene Armee zum Lachen brächte, gingen wir alle mit hinunter. Unten erzählte der Mensch gerade halblaut einem andern Rekruten ins Ohr, er habe ein eingesetztes Gebiß von lauter falschen Schneidezähnen, und sie fielen alle bis auf einen Eckzahri heraus, wenn er eine Patrone anbisse; er habe aber bloß das Handgeld wegkapern wollen. Er schraubte unsertwegen den Hut vom Kopf ab, aber eine weiße Mütze, die sich bis über die Augenbraunen hereinsenkte, zerrete er noch tiefer nieder: ›zög' er sie ab,‹ sagt' er, ›so kam' er in seinem Leben nicht zum Regiment.‹ Der eine Unteroffizier fing an zu lachen und sagte: ›Er tuts bloß, weil er drei abscheuliche Muttermäler darunter hat, weiter nichts‹ - und ein Kamerad streifte ihm heimlich die Mütze von hinten herunter. Kaum war zu unserem Erstaunen ein Kopf daraus vorgesprungen, der an beiden Schläfen zwei brennende Muttermäler wies, eine Silhouette mit einem natürlichen Haarzopf und gegenüber zwei Iltis-Schwänzchen: so faßte zu unserm noch größeren Erstaunen der Rittmeister den bemalten Kopf an und küßte ihn so heftig wie seinen leiblichen Bruder und wollte sich totlachen und totfreuen. ›Du bist und bleibst doch der Doktor Fenk!‹ sagt' er. Er muß sehr vertraut mit dem Rittmeister sein und kommt unmittelbar von Oberscheerau. Kennen Sie ihn nicht? Der Fürst lässet ihn als Botaniker und Gesellschafter mit seinem natürlichen Sohn, dem Kapitän von Ottomar, nach der Schweiz und Italien reisen, wie Sie schon wissen werden. Er setzt tolle Streiche durch, wenns wahr ist, was er schwört, daß dieses seine 2ite Verkleidung sei und daß er ebenso viele Jahre habe. Er sieht übel aus; er sagt selber, sein breites Kinn stülpe sich wie ein Biberschwanz empor und der Bader rasier' ihm im Grunde die halbe Wüste gratis, so viel wie zwei Barte - seine Lippen sind bis zu den Stockzähnen aufgeschnitten, und seine kleinen Augen funkeln den ganzen Tag. Er spaßet auch für Leute, die nicht seinesgleichen sind, viel zu frei.« - -

- Ernestine silhouettiert hier den äußern Menschen des Doktors, der wie viele indische Bäume unter äußern Stacheln und dornigem Laub die weiche kostbare Frucht des menschenfreundlichsten Herzens versteckte. Ich werd' ihn aber ebenso gut zeichnen können wie die Briefstellerin. Da Humoristen wie er selten schön sind - weibliche Humoristinnen noch weniger - und da der Geist sich und das Gesicht zugleich travestiert: so würde ja, sagt' er, seine schönste Kleidung keinem Menschen etwas nützen - ihm selber und den Schönen am wenigsten — als bloß den Schnitthändlern. Daher waren seine Montierstücke in zwei Fächer gesondert, in kostbare (damit die Leute sähen, daß er die elenden nicht aus Armut trüge) und in eben diese elenden, die er meistens mit jenen zugleich anhatte. Stachen nicht die Klappen-Segel der schönsten gestickten Weste allemal aus einem fuchsbraunen Überrock heraus, der fast in seiner Haar-Mäuse verschied? Halt' er nicht unter einem Hut für iVs Ld'or einen schimpflichen Zopf aufgehangen, den er für nicht mehr erstanden als für drei hiesige Sechser? Freilich wars halb aus Erbitterung gegen diesen so geschmacklosen Krebsschwanz des Kopfes, gegen dieses wie ein Tubus sich verkürzendes und verlängerndes Nacken-Gehenk an der vierten gedankenvollen Gehirnkammer. Sein Schreib-Geschirr mußte schöner als sein Eß-Geschirr und sein Papier feiner als seine Wäsche sein; er konnte nirgends schlechte kleine Federn leiden als bloß auf seinem Hute, den sein Bette - und seine den Ehelosen natürliche Unordnung - sozusagen in einen adeligen Federhut umbesserte; indessen setzte er seinen Bettfedern in den Haaren gute Seekiele hinter den Ohren an die Seite ~ der Prinzipal-kommissarius hätte sie auf dem Reichstag mit Ehren hinter seine stecken können!—

Um aber keinen Anzugs-Sonderling und Kleider-Separatisten zu machen, ließ er sich von Jahr zu Jahr nach den besten Moden des Narrheit-Journals abkonterfeien und schützte vor, er müsse den Leuten doch zeigen, daß er oder sein Kniestück vielleicht gleichen Schritt mit den neuesten Elegants zu halten wüßten. - Der untere Saum seines Überrocks war gleich dem Menschen oft aus Erde gemacht; allein er drang darauf, man sollt' es ihm sagen, was es verschlüge, wenn ers leibhaftig wie der Strumpfwürker triebe, dessen Historie ich sogleich erzählen will, um nur nicht ohne alle Moral zu schreiben. Der Mann hatte nämlich das Gute und Tolle an sich, daß er den kotigen Anschrot, womit sich sein Überrock besetzte, wenn er seine Strümpfe in die Stadt auf seinem Rücken ablieferte, niemals herausbürstete oder ausrieb: sondern er griff in eine breite Schere und zwickte damit den jedesmaligen Schmutzkragen und kotigen Horizont mit Einsicht herunter - je länger es nun regnete, desto kürzer schürzte sich sein Frack hinauf, und am kürzesten Tage ging der Epitomator wegen des unerhörten Wetters im kürzesten Überrock herum, in einer niedlichen Sedez-Ausgabe der vorigen Langfolio-Ausgabe. Die Moral, die ich daraus holen kann, möchte die Frage sein: sollte ein gescheiter Staat, der doch gewiß siebzigmal klüger ist als alle Strumpfwürker zusammengenommen, die ja selber nur Glieder desselben sind, den eingesäumten Strumpfwürker nicht dadurch am besten einholen, daß er auch seine schmutzigen Glieder (Diebe, Ehebrecher etc.), statt lange an ihnen zu reiben und zu säubern, mit dem Schwerte oder sonst frisch herunterschnitte? ... -Jean Paul, Die unsichtbare Loge (zuerst 1793)

Humorist (4)  Er dachte wieder: «Nein, Gott ist kein großer Humorist. Er ist ein kleiner, ein elender Humorist. Er hat die Mentalität eines Feldmessers. Um die Massen zu töten, bedient er sich der Kriege und Epidemien. Er hat nicht einmal Sinn für schöne Ungerechtigkeit! Die einzigen Extravaganzen, die ich ihn habe aushecken sehen, sind die Taschendiebstähle in der Kirche, während der Bestohlene betete; aber er hat nie einen grandiosen Einfall. Wenn ich an seiner Stelle wäre, so würde ich plötzlich die Schwerkraft aufheben. Der Mensch würde versuchen, einen Zigarrenstummel fortzuwerfen, und der Stummel würde ihm in der Hand bleiben. Er würde versuchen, eine Treppe hinunterzugehen, und würde sich gezwungen sehen, niederzuknien, mit dem Kopf nach unten und sich mit den Händen die Stufen hinunterzuziehen, größere Mühe anwendend, um abwärtszukommen, als um hinaufzuklim-men. Oder ich würde die Zentrifugalkraft der Erde beschleunigen. Anstatt daß sie in vierundzwanzig Stunden die Drehung vollzieht, würde ich sie in einer Stunde vollziehen lassen. Und alles würde in katastrophaler Unordnung auf ungeheure Entfernung, durcheinandergeworfen werden. Japanische Pagoden auf die Gletscher des Montblanc geschleudert werden, mohammedanische Minaretts wie Biskuits in den Krater des Vesuvs eingetaucht werden, die Pyramide des Cheops auf die Place de la Concorde verpflanzt werden. Gott ist kein Künstler. Um die Menschen zu töten, nimmt er seine Zuflucht zu so unendlich kleinen Meuchelmördern, daß man nicht einmal weiß, ob sie vegetabilischer oder animalischer Natur sind. Was für ein beschränktes Gehirn, dieser Gottvater! Und was für ein Mangel an Würde!»  - Pitigrilli, Kokain. Reinbek bei Hamburg 1988 (zuerst 1922)
 
 

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