Hühneraugen

ühneraugen Zeigt Wetterwechsel besser an als ein Barometer.

Sehr gefährlich, wenn man unsachgemäß daran herumschnippelt.

Beispiele von schrecklichen Folgen anführen.

Treppen steigen vermeiden, davon bekommt man Hühneraugen.
Die ganz Klugen lassen sie niemals schneiden; man reißt sie mit den Nägeln heraus und legt ein zuvor in Essig getauchtes Stückchen Fleisch darauf.-(fla)

Hühnerauge⁽²⁾ Das Hühnerauge, dessen vorderer Teil in die Ornithologie, dessen rückwärtiger Teil jedoch in die Ophthalmologie hineinragt, ist vor Meinem epochemachenden und die Denkrichtung des Jahrhunderts diametral ordnenden Auftreten zwar häufig zum Gegenstand von Untersuchungen gemacht worden, in seiner Totalität aber ist bis zum Erscheinen der ersten Auflage dieses in seiner Sinnfältigkeit zwar dicken, im Verhältnis zu seinem übermenschlichen Gedankeninhalt aber dünnen Buches Abschließendes über Wesen, täuschende Erscheinungsform und ehrenhafte Ding-an-sich-lichkeit dieses merkwürdigen Organismus nicht niedergeschrieben worden. Von den erbärmlichen Tröpfen, welche vor Mir die fetten Euter der mageren Kuh Philosophie gemelkt haben, ist nicht viel zu holen. Der platte Plato existiert für Mich nicht, denn er trug Sandalen und gelangte somit selbst in seinen reiferen Arbeiten nicht einmal zum klaren Bewußtsein des physischen Hühnerauges, um wie viel weniger zum Unbewußtsein des metaphysischen. Das antike Heidentum mußte erst nach langer Selbstzersetzung in und durch sich zusammenbrechen, bevor auch nur das bewußte Hühnerauge, als natürliche Folge der in den schlechten und billigen Erzeugnissen germanischer Schuhmacher leichtsinnig unternommenen Völkerwanderung, in einer für philosophische Zwecke nutzbaren Allgemeinheit auftreten konnte.

 - Fritz Mauthner,

Eduard 
von Hartmann, Die Philosophie des unbewußten Hühnerauges. Destruktive Resultate 
auf konstruktivem Wege

Hühnerauge⁽³⁾

Ich glaube, manchmal betrachten uns
von vorn von hinten von der Seite
ein paar vorwurfsvolle Hühneraugen
die furchterregender sind als das Brackwasser der Höhlen
blutschänderisch wie die Augen der Mutter
die auf dem Schafott starb
klebrig wie ein Koitus
wie die Sülze die die Geier verschlingen
Ich glaube ich muß sterben
die Hände tief im Schlamm der Wege
Ich glaube würde mir ein Sohn geboren
hingen seine Blicke ewig
an den Tieren die zum späten Nachmittag kopulieren.

- (bun)

Hühnerauge⁽⁴⁾ Als Frau von Warens den kleinen Rousseau kennenlernte, da war er fast noch ein Kind. Er hatte schwarze Haare, einen zierlichen Mund, kleine und sogar tiefliegende Augen, er hatte ein schönes Bein, einen hübschen Fuß und allerliebste Zehen, die dann später vom vielen Gehen mit Hühneraugen übersät waren, aber nie in seinem Leben ist es ihm in den Sinn gekommen, an sein Äußeres zu denken, als bis es zu spät war. Er hat es zwar nie dahin gebracht, ein Menuett zu tanzen, aber er hüpfte beschwingt im Reigen mit, er hatte sich auch infolge seiner Hühneraugen angewöhnt, auf den Fersen zu gehen, aber deshalb war er noch lange kein unansehnlicher Mensch, den man nicht hätte lieben mögen. - Ludwig Harig, Rousseau. Der Roman vom Ursprung der Natur im Kopf. München 1981 (zuerst 1978)

Hühneraugen⁽⁵⁾ »Mein Großpapa«, sagte er, »hat Hühneraugen, die schlimmsten Hühneraugen in ganz Kopenhagen. Wenn sie ihn besonders plagen, seufzt er und stöhnt. Er sagt: ›Im Chinesischen Meer wird es Stürme geben. Es ist eine verdammte Sache; meine Schiffe gehen zu Grund.‹ Und weißt du, Mama, ich glaube, die Matrosen sagen dann zueinander: ›Da kommt ein starker Sturm daher; es ist eine verdammte Sache; unser Schiff geht zu Grund. Jetzt wird's Zeit, daß der alte Großpapa in der ßredgade geht und sich die Hühneraugen schneiden läßt.‹« - Tania Blixen, Wintergeschichten. Reinbek bei Hamburg 1989

Hühneraugen⁽⁶⁾ Auf einem Zeh: ein Hühnerauge! Jeden Morgen schneiden Sie es: wissen Sie auch, daß seine Wurzeln aus der Unendlichkeit kommen? Wenn ich sie Ihnen zeigte . . . wenn ich Ihnen diese Kette aus weißem Marmor und Korallen zeigte!... sie liegt am Grunde des Ozeans und einer ihrer Ausläufer erstreckt sich bis in das Hühnerauge auf einem Zeh. - Max Jacob, Der Würfelbecher. Frankfurt am Main 1968 (zuerst 1917/23)