Horrortrip (2) Er erzählte mir, aus
seinem Behagen heraus, diesem höchsten Genuß, sich voller Leben und
voller Genie zu fühlen, sei er mit einem Mal einem Gegenstand des
Grauens begegnet. Zunächst von der Schönheit seiner Empfindungen
geblendet, sei er ganz plötzlich darüber erschrocken. Er habe sich
gefragt, was aus seiner Intelligenz und seinen Organen würde, wenn
dieser Zustand, den er für einen übernatürlichen hielt, sich immer mehr
erschöpfe, wenn seine Nerven immer dünner würden. Infolge der Fähigkeit,
alles zu vergrößern, die das geistige Auge des Süchtigen besitzt, mußte
diese Angst eine unaussprechliche Qual sein. «Ich war», sagte er, «wie
ein Pferd, das in vollem Lauf einem Abgrund zurast, in diesem Lauf
innehalten möchte, es aber nicht kann. Tatsächlich war es ein
erschrek-kender Galopp, und mein Gedanke, dieser Sklave der
Verhältnisse, des Milieus, des Ereignisses und alles dessen, was in dem
Wort Zufall enthalten sein kann, hatte eine absolut rhapsodische Wendung
gcnomrnen. «Es ist zu spät!> wiederholte ich unaufhörlich voller
Verzweiflung. Als diese Empfindungen aufhörten, die mir unendlich lang
zu dauern schienen und die vielleicht nur einige Minuten währten; als
ich glaubte, endlich in der Glückseligkeit versinken zu dürfen, welche
den Orientalen so teuer ist und auf diese rasende Phase folgt, wurde ich
von einem neuen Unheil niedergeschmettert. Eine neue, sehr triviale und
sehr kindische Unruhe nahm von mir Besitz. Ich erinnerte mich mit einem
Mal. daß ich ja zum Diner, zu einer Soiree wichtiger Männer eingeladen
war. Ich sah mich im voraus mitten in einer Menge weiser und besonnener
Menschen eingekeilt, wo jeder Herr seiner selbst war - verpflichtet, im
Glanz zahlreicher Lampen den Zustand meines Geistes zu verbergen. Ich
glaubte wirklich, es müsse mir gelingen. Doch andererseits spürte ich,
wie ich beinah ohnmächtig wurde beim Gedanken an die
Willensanstrengungen, die ich entfalten mußte. Infolge eines
unbestimmten Zufalls tauchten die Worte aus dem Evangelium in meiner
Erinnerung auf: <Wehe dem, durch den das Ärgernis kommt!) Und während
ich sie vergessen wollte und mir Mühe gab, sie zu vergessen,
wiederholte ich sie unaufhörlich in meinem Geist. Mein Unglück (denn es
war ein wirkliches Unglück) nahm riesige Ausmaße an. Ich beschloß trotz
meiner Schwäche, meine Energie zusammenzuraffen und einen Apotheker
aufzusuchen.
- Charles Baudelaire,
Die künstlichen Paradiese. Zürich 2000 (zuerst ca. 1860)
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