Dornwunde (Cornada)     Gitanillo de Triana ist wohlgemut, tapfer und von Natur ehrenhaft in der Arena, aber die zuversichtliche Fragwürdigkeit seiner Technik gibt einem das Gefühl, daß er jeden Augenblick, während man ihm zusieht, aufgespießt werden kann.

Seit ich dies über Gitanillo de Triana geschrieben habe, sah ich zu, wie er an einem Sonntagnachmittag, am 31. Mai 1931, in Madrid, von einem Stier getötet wurde. Es war über ein Jahr her, seit ich ihn hatte kämpfen sehen, und auf dem Weg zur Arena im Taxi dachte ich: ob er sich wohl verändert haben wird, und wieviel ich wohl von dem, was ich über ihn geschrieben hatte, revidieren müsse.

Er kam beim paseo mit langbeinigem, leichtem Schwung heraus, dunkelgesichtig, besser aussehend als früher, und lächelte jedem, den er erkannte, zu, als er an die barrera kam, um die capas zu wechseln. Er sah gesund aus, seine Haut war helltabakfarben, und sein Haar war wieder schwarz wie Ebenholz und glänzend, das von Wasserstoffsuperoxyd entfärbt gewesen war, mit dem man das geronnene Blut nach einem Autounfail, bei dem er im vergangenen Jahr ernsthaft verletzt wurde, aufgeweicht hatte, und er trug ein silbernes Stierkämpferkostüm, um all das Schwarz und Braun zu betonen, und schien mit sich und der Weit sehr zufrieden.

Er war zuversichtlich mit der capa, handhabte sie wunderschön und langsam; der Stil war der von Belmonte, nur daß alles von einem langbeinigen, schmalhüftigen dunklen Zigeuner ausgeführt wurde. Sein erster Stier war der dritte des Nachmittags, und nachdem er sehr gute Arbeit mit der capa geleistet hatte, sah er zu, wie die banderillas placiert wurden; dann gab er, ehe er mit Degen und muleta hinausging, den Banderilleros ein Zeichen, den Stier näher an die barrera heranzubringen.

«Paß auf, er stößt ein bißchen nach links», sagte sein Degenbewahrer, als er ihm den Degen und das Tuch reichte.

«Laß ihn stoßen, wie er will. Mit dem kann ich fertig werden.» Gitanillo zog den Degen aus der ledernen Scheide, die schlaff wurde, als die Steifheit heraus war, und schritt langbeinig auf den Stier zu. Er ließ ihn einmal für den pase de la muerte heran- und vorbeikommen. Der Stier drehte sehr schnell, und Gitanillo drehte mit der muleta, um ihn links vorbeikommen zu lassen, hob die muleta, und dann wurde er selbst in die Luft gehoben, mit weit gespreizten Beinen - seine Hände hielten noch die muleta -, mit dem Kopf nach unten, das Horn des Stiers in seinem linken Oberschenkel. Der Stier drehte ihn auf dem Horn herum und warf ihn gegen die barrera. Das Horn des Stiers fand ihn, hob ihn noch einmal an und warf ihn wieder gegen das Holz. Dann, als er dalag, trieb ihm der Stier sein Horn durch den Rücken. All dies währte noch keine drei Sekunden, und von dem Moment an, als ihn der Stier zuerst hochhob, rannte Marcial Latanda mit der capa auf ihn zu. Die anderen Stierkämpfer hatten ihre capas weit gespreizt und schwenkten sie in der Richtung des Stiers auf und nieder. Marcial griff den Stier von vorn an, schob sein Knie in das Maul des Stiers, schlug ihm ins Gesicht, damit er den Mann in Ruhe ließe und in einem wilden Ansturm herauskäme. Marcial rannte rückwärts in die Arena hinaus, und der Stier folgte der capa. Gitanillo versuchte aufzustehen, konnte es aber nicht, und die Arenadiener hoben ihn auf und liefen mit ihm - sein Kopf baumelte hin und her - dem Operationsraum zu. Ein Banderillero war von dem ersten Stier aufgespießt worden, und der Arzt hatte ihn noch auf dem Operationstisch, als sie mit Gitanillo hereinkamen. Er sah, daß es keine kolossale Blutung war; die Femoralarterie war nicht durchschnitten, und er machte den Banderillero fertig und ging dann an die Arbeit. Gitanillo hatte eine Hornwunde in beiden Oberschenkeln, und in jeder "Wunde waren der Quadrizeps und die Abduktoren losgerissen. Aber in der Wunde im Rük-ken war das Hörn glatt durch das Becken gegangen und hatte den Ischiasnerv zerrissen und ihn an der Wurzel herausgezogen, wie ein Wurm auf einer feuchten Wiese vielleicht von einer Drossel herausgezogen wird.

Als sein Vater ihn besuchen kam, sagte Gitanillo: «Weine nicht, Väterchen. Erinnerst du dich, wie schlimm die Autogeschichte war, und daß alle sagten, daß wir das nicht überstehen würden? Hiermit wird's genauso sein.» Später sagte er: «Ich weiß, ich kann nicht trinken, aber sag ihnen, daß sie meine Eippen anfeuchten. Nur meine Lippen ein bißchen anfeuchten.»

Jene Leute, die sagen, daß sie bezahlen würden, um zu einem Stierkampf zu gehen, wenn sie einmal sehen könnten, wie ein Mann durchbohrt würde, und nicht einfach immer nur, wie der Stier von den Männern getötet wird, hätten in der Arena, im Operationsraum und später im Krankenhaus sein sollen. Gitanillo durchlebte die Hitze des Juni und Juli und die beiden ersten Augustwochen und starb dann schließlich an einer von der Wunde am unteren Rückgrat verursachten Meningitis. Er wog 128 Pfund, als er durchbohrt wurde, und er wog 63 Pfund, als er starb, und während des Sommers erlitt er, durch die von den drainierenden Gummiröhren in seiner Oberschenkelwunde verursachten Geschwüre geschwächt, drei verschiedene Risse in der Femoralarterie, die, wenn er hustete, aufbrachen. Während er im Krankenhaus lag, kamen Felix Rodriguez und Valencia mit fast denselben Oberschenkelwunden herein und wurden, obgleich ihre Wunden noch offen waren, als kämpffähig entlassen, ehe Gitanillo starb. Gitanillos Pech wollte, daß der Stier ihn gegen die Basis des hölzernen Zauns warf, so daß er gegen etwas Festes lag, als das Horn in seinen Rücken stieß. Hätte er in der offenen Arena auf dem Sand gelegen, würde ihn derselbe Hornstoß, der ihn tödlich verletzte, wahrscheinlich in die Euft geworfen haben, aber er wäre nicht durch das Becken gegangen. Die Leute, die sagen, daß sie dafür bezahlen würden, den Tod eines Stierkämpfers mit anzusehen, hätten allerhand für ihr Geld bekommen, als Gitanillo in dem heißen Wetter von den Nervenschmerzen wahnsinnig wurde. Man konnte ihn auf der Straße hören.  - Ernest Hemingway, Tod am Nachmittag. Reinbek bei Hamburg 2003 (zuerst 1932)

Horn Wunde

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VB
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