olländer  Der Erwähnung wert sind vielleicht zwei Holländer, ein ungleiches Gespann, das seine Betten in derselben Ecke aufgeschlagen hatte. Der eine von ihnen war übermenschlich lang und dürr und wäre wohl noch riesenhafter erschienen, wenn nicht eine starke Verkrümmung des Rückens ihn gezwungen hätte, den Kopf stets gegen den Boden geneigt zu halten. So schaute er wie ein melancholischer gotischer Wasserspeier auf die anderen herab. Huke, der neben ihm schlief, nannte ihn einen alten Sack voll Hirschgeweih, und der Kellner hatte ihn zum besonderen Ziel seiner Schabernäcke erwählt. Obwohl er allgemein als komische Figur genommen wurde, war er mir sogleich unheimlich — er erinnerte mich an Dinge, wie man sie im Halbdunkel alter, verstaubter Gänge zu sehen glaubt, und ein spitzes graues Hütchen hätte gut zu ihm gepaßt, Wie der andere von ihm erzählte, hatte er lange in Borneo gedient, und es war wohl möglich, daß er, der schweigsam und langweilig wie ein chinesischer Götze war, einen Vorrat von absonderlichen Erinnerungen in sich verschloß. Obwohl es, wenn man ihn sah, ganz gleichgültig schien, an welchem Punkt der Erde er sich befand, pflegte er doch zuweilen »auf Pump zu gehen«, wie hier der Fachausdruck für die unerlaubte Entfernung lautete. Er strebte dann ganz allein in riesenhaften Nachtmärschen der spanischen Grenze zu, wurde aber jedesmal durch irgendein Mißgeschick gefaßt und wieder eingebracht.

Auch sein Landsmann gehörte der Klasse der Kobolde an, allerdings jener anderen Abteilung, die dem Wasser zugeordnet ist und die bei uns im Norden durch die Figur des Klabautermannes vertreten wird. Wenn man ihn sah, bekam man Meereswitterung; er war von kleiner, spinnenartiger Gestalt, hatte wassergrüne Augen, einen roten Haarschopf und trug eine rote, struppige Bartkrause. Er war viel beweglicher und aufgeweckter als der andere, und ich unterhielt mich gern mit ihm, wenn er, ein tönernes Pfeiflein schmauchend, auf seinem Bett wie auf einer Seemannskiste saß. Er hatte dabei ein Gefühl für Würde, wie sie dem Altgesellen ziemt, denn er mochte wohl so an die Vierzig sein. Wenn man ihn hörte, gewann man den Eindruck, daß er in seinen Angelegenheiten auf peinliche Ordnung hielt; auch hatte er in Holland ein paar hundert Gulden auf der Sparkasse. Zuweilen setzte er sich nach umständlichen Vorbereitungen an den Tisch und schrieb in der mühsamen Art der Kinder einen Brief an seine Braut, von der er gern als von einem guten und zuverlässigen Mädchen sprach, das nun schon seit zehn Jahren auf ihn wartete. Sein Lebensplan bestand darin, sich eine bestimmte Summe zu ersparen, um sich davon eine Fischerbarke zu kaufen, und dann zu heiraten.   - Ernst Jünger, Afrikanische Spiele. München 1987 (dtv 10688, zuerst 1936)

Holländer (2)

 

- (tomk)

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