Dochzeits-Gig    «Hochzeiten sind unser täglich Brot», versicherte Billy ihm.

«Halt dich zurück, ja?» murmelte Jesaja.

«Aber echt jetzt», kommentierte Lester, der Leadgitarnst, mit brüchiger Stimme. «Wenn du hier Scheiß baust, Bill, enden wir alle 'n irgendeinem Brückenpfeiler.»

Sie brachten den ersten Set aus AIlerwelts-Popmelodien, Rock &' Roll-Oldies und sogar ein oder zwei Broadway-Standards heil hinter sich. In der anschließenden Pause erschien jedoch ein hünenhafter Abgesandter mit einem sich nach oben deutlich verjüngenden Kopf - es war Ralph seniors getreuer Adjutant «Two-Ton» Carmine Torpidini, der eine Botschaft für Billy hatte. «Mr. Wayvone dankt sich herzlich für die schöne moderne Musik, die besonders bei den jungen Leuten viel Anklang gefunden hat. Er läßt aber fragen, ob Sie im nächsten Set nicht etwas spielen könnten, das der älteren Generation ein bißchen vertrauter ist, etwas... mehr Italienisches...»

Mehr als bestrebt, allen Wünschen zu entsprechen, stiegen die Vomitones in ein einstudiertes Potpourri italienischer Melodien ein, deren gemeinsamer Nenner Erhabenheit war und das mit einer Salsa-Adaption von «More» aus Mondo Cane [1963] begann, sodann, auf Dreivierteltakt gebremst, in «Sensa Fine» aus Der Flug des Phoenix [1966] überging und mit einer in Billys nasalem Tenor gesungenen englischen Version des beliebten «AI Di La» aus verschiedenen Fernsehfilmen ausklang.

Niemand war überraschter als Billy, daß Two-Ton Carmine erneut vorsprach, diesmal kurzatmig keuchend, mit gerötetem Gesicht und erregt flackerndem Blick, als wittere er eine Gelegenheit, eine jener schmutzigen Arbeiten zu erledigen, für die er bezahlt wurde. «Mr. Wayvone sagt, daß er eigentlich gehofft hatte, mit euch nicht zu sehr in die Details gehen zu müssen, aber er hat sich mehr so was vorgestellt wie ‹C'è la Luna› oder ‹Way Marie› - ihr wißt schon, so was zum Mitsingen, vielleicht mit einem Schuß Oper. ‹Cielo e  Mar› zum Beispiel. Wie ihr wahrscheinlich wißt, hat Mr. Wayvones Bruder Vincent eine sehr schöne Stimme...»

«Tja», Billys Auffassungsgabe schien ein wenig beeinträchtigt und verlangsamt, «äh... also.,., na klar! Ich glaube, wir haben die Arrangements dafür...»

«Im Wagen», flüsterte Jesaja.

«...im Wagen», sagte Billy Barf. «Ich muß nur schnell...» Er schob den rechten Arm durch den Gitarrengurt. Doch Carmine entwand ihm kurzerhand das Instrument und begann es zu drehen, so daß sich der Gurt enger und enger um Billys Hals zog.

«Arrangements», lachte Carmine unangenehm berührt und voller Niedertracht. «Was für Arrangements braucht man schon für ‹Way Marie›? Die Herrschaften sind doch Italiener, oder vielleicht nicht?»

Stumm und hilflos sahen die anderen zu, wie ihr Bandleader garrottiert wurde. Ein paar von ihnen waren englischer, einige schottisch-irischer Abstammung, und ein Jude war auch dabei, aber weit und breit kein Italiener. «Wenigstens einer katholisch, hm?» wollte Carmine wissen und verlieh seiner Frage mit ein paar kurzen Rucken am Gurt Nachdruck. «Vielleicht finde ich mich bereit, euch laufenzulassen, wenn ihr zehn ‹Ave Maria› singt und tätige Reue zeigt. Nein? Dann verrat mir mal, was hier los ist, solange du noch kannst. Hat Little Ralph euch nicht gesagt, was Sache ist? Ha! Moment mal! Was ist das?» Infolge des Schütteins und Rütteins, dem der Kopf, auf dem sie saß, ausgesetzt war, hatte Billys «italienische» Perücke begonnen zu verrutschen, wodurch seine echten Haare, heute leuchtend türkis gefärbt, zum Vorschein kamen. «Ihr seid nicht Gino Baglione and the Paisansl» Carmine schüttelte den Kopf und ließ die Fingerknöchel knacken. «Das ist Vorspiegelung falscher Tatsachen, Freunde! Wißt ihr nicht, daß euch das 'ne Zivilklage einbringen kann?»

Jesaja, der sah, daß Billy Barf sich kopfloser Panik hingab und die Schnellverschlüsse an den Enden des Gitarrengurts, mit dem er gewürgt wurde, vollkommen vergessen hatte, ging hin und ließ sie aufschnappen, was es dem Bandleader ermöglichte, sich wankend zu entfernen und keuchend Luft in seine Lunge zu pumpen. «Eigentlich», begann Jesaja, «bin ich hier der Drummer, und mein Job ist es, harte Schläge und kleine Überraschungen so auf die Reihe zu bringen, daß die Leute danach tanzen können, und das ist im Grunde schon alles, was ich hier mache, aber als Kenner und -jedenfalls nach der Geschichte zu urteilen, die Ihr Gesicht erzählt -einer, der selbst schon einige harte Schläge des Schicksals hat einstecken müssen, sehen Sie doch sicher ein, daß die gegenwärtige Krise eine Echauffierung des Umfangs, wie Sie ihn in Betracht ziehen, nicht rechtfertigt, ganz zu schweigen von den Spuren an Billys alias Ginos Hals, die ihn zwingen werden, wochenlang Halstücher à la Country and Western zu tragen, was wiederum sowohl einige musikalische Implikationen als auch, wie Sie sich sicher vorstellen können, bei vielen Leuten gewisse altjüngferliche Knutschfleck-Mutmaßungen nach sich ziehen wird - neinnein, das hier ist echt kein großer Paukenschlag, noch nicht mal ein leichter Besenstrich des Schicksals über das kleine Becken, meinen Sie nicht auch? Also, na bitte!»

«Äh», würgte der wie hypnotisierte extragroße Gorilla mit Mühe hervor, «ja, du hast recht, Kleiner. Wirklich schade, muß ich sager - ich hatte mich gerade darauf eingestellt, euch alle ein bißcher au fzu mischen.»

«Gut» - das kam von Billy Barf, der irgendwo hinter einem Ver-stärker hockte und verzweifelt den Wagenschlüssel suchte-, «erzähl uns mehr davon, red's dir von der Seele, das wird dir guttun.»

Glücklicherweise enthielt Ralph Wayvones Bibliothek zufällig ein Exemplar von Deleuze & Guattaris Die italienische Hochzeit - Rat und Tips für alle Fälle, das Gelsomina, die Braut, die ihre Hochzeit vor solch bösen Omen wie beispielsweise Blut auf dem Hochzeitskuchen bewahren wollte, in weiser Voraussicht ins Haus geschmuggelt hatte und nun Billy Barf zeigen wollte- Leider war der, die Autoschlüssel in der Hand, inzwischen zielstrebig unterwegs zum Parkplatz, so daß einige Gäste die junge Braut im Hochzeitskleid ihrer Großmutter einem nicht-italienischen Musiker mit ungewöhnlicher Frisur nachlaufen sahen - ein Fauxpas, der, nach Meinung einiger eher konservativ gesinnter Elemente um Ralph Wayvone, nicht ungeahndet bleiben durfte. Trotz der bald darauf wieder erklingenden Musik, des fröhlichen Tanzens, der guten Laune und der Rettung von Gelsomina Wayvones Hochzeitstag reichte dieses Damoklesschwert über Billy aus, um ihn, der nun überzeugt war, daß die obersten Chefs bereits einen Preis auf seinen Kopf gesetzt hatten, für den Rest des Gigs zu lahmen.

«Also, wenn sie dich kaltmachen wollen, Alter, wird sie nichts davon abhalten», meinte der Bassist der Vomitones, der den nom de guerre Meathook führte. «Das einzige was du tun kannst ist, dir 'n 22er Sturmgewehr mit automatischem Magazin-Wechsler zu besorgen, damit du wenigstens noch ein paar von den Burschen mitnehmen kannst, wenn sie kommen.»   - Thomas Pynchon, Vineland. Reinbek bei Hamburg 2015

Hocjzeit Konzert

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