immelfahrt Plötzlich schleuderte mich eine unberechenbare Kraft von unten unerbittlich pressend, ein rätselhafter Druck, den ich mit einemmal unter meinen Sohlen in Tätigkeit verspürte, aufwärts in die Luft. Es war, als würfe mich die Erde gen Himmel. Ich glich einer abgeschossenen Kanonenkugel...
Und in völliger Einsamkeit inmitten des weiten Luftraumes stieg ich kerzengerade
empor, schnell, schnell... Unter mir bildete die Forestelwiese nur mehr den
winzigen Mittelpunkt eines ungeheuren Kreises, der immer größer und größer wurde,
und der Colom-bier schien in die Fläche seiner Umgebung zurückzusinken. Infolge
meiner rapiden Himmelfahrt schien der Kreis - die Erde - ein beweglicher Trichter,
dessen sämtliche Punkte gegen die Mitte stürzten,
als seien sie von einem zentralen Saugrohr angezogen.
Gefühl von Übelkeit über diesem schwindelerregenden
Kübel, grauenhaft zusammenschnürend. Der Schwindel lähmte mich. Im Anfang hatte
ich um mich geschlagen wie die Männer in Châtel, um zu entkommen. Nun versteinerte
mich der Schrecken vor dem Abgrund
- die Furcht, hinabzustürzen, wenn die geheimnisvolle
Kraft etwa nachließ. - Maurice Renard, Die
blaue Gefahr. Frankfurt am Main 1989 (st 1596, Phantastische Bibliothek
225, zuerst
1911)
Himmelfahrt (2) Am Ufer des Himmelswassers
(des Meeres) hub er an zu weinen und legte den Schmuck ab, den er trug,
den Federschmuck der Küstenleute, die Türkismaske und alles übrige; und als
er damit fertig war, verbrannte er sich selbst aus freien Stücken. Darum heißt
der Ort, wo sich Quetzalcouatl verbrannte, »Die Stätte der Verbrennung«. Und
man sagt, daß seine Asche emporstieg, nachdem er sich verbrannt hatte, und daß
dann alle möglichen Vögel mit kostbarem Gefieder erschienen, die man in die
Höhe, zum Himmel fliegen sah: Löffelreiher und Kotingas, Tzinitzcan und Ayoquan,
Papageien, Araras und Loros und alle sonstigen Arten von Schmuckvögeln. Und
nachdem die Asche ganz verflogen war, stieg das Herz Quetzalcouatls vor aller
Augen empor. Wie man m Erfahrung brachte, ging es zum Himmel und in den Himmel
ein. Die Alten erzählen, es habe sich in den Stern verwandelt, der m der Morgendämmerung
erscheint und der zum erstenmal sichtbar wurde, als Quetzalcouatl starb. Man
nannte ihn nunmehr den »Herren der Dämmerung«. Nachdem Quetzalcouatl gestorben
war, war er zuerst vier Tage lang unsichtbar; es heißt, daß er damals in der
Unterwelt weilte. Weitere vier Tage lang war er Knochen; erst nach acht Tagen
erschien der große Stern, den man Quetzalcouatl nennt. Man sagt, daß dann erst
Quetzalcouatl zum Gott wurde. - (
azt
)
Himmelfahrt (3) In
der Hochzeitsnacht legte eine Sklavin in das Fellbett
des Bräutigams die schneidenden Knochen der Schlange, so daß er sich den Körper
zerschnitt, die Knochen gruben sich alle in das Fleisch. Da rief er die Hunde,
die zogen sie ihm heraus. Nun fuhren sie spazieren. Plötzlich sagten die Hunde:
»Wir haben dir einige Male das Leben gerettet, nun wollen wir wieder nach unserer
Heimat gehen.« Der ›Bellende Wald‹ und die Prinzessin weinten, aber die Hunde
stiegen einen Baum hinauf, höher, höher, über den Gipfel
hinauf in die Luft, dem Himmel flogen sie zu, von wo sie gekommen waren. Sie
kamen nie wieder. - (
arauk
)
Himmelfahrt (4)
Himmelfahrt (5) Auf hoher See erfolgt die Hinrichtung eines Kriegsmarinematrosen durch Erhängen, und zwar im allgemeinen an der Fockrahe. Im gegenwärtigen Fall war aus bestimmten Gründen die Großrahe vorgesehen. Jetzt wurde der Gefangene, begleitet vom Kaplan, unter das Wetter- und Luvende dieser Rahe geführt. Hierbei und hinterher war zu bemerken, daß der gute Mann bei diesem letzten Auftritt fast alles Routinemäßige vermied. Eine kurze Zwiesprache hatte er allerdings noch mit dem Verurteilten, aber das wahre Evangelium hatte er weniger auf den Lippen als in seinem Außeren und seinem Benehmen ihm gegenüber. Schnell wurden die letzten Vorbereitungen an dem Gefangenen durch zwei Steuermannsmaate erledigt. Billy stand mit dem Gesicht nach achtern gewandt. Seine Worte im allerletzten Augenblick, seine einzigen, waren der spontane Ausruf: »Gott segne Kapitän Vere!« Diese Worte, so unerwartet bei jemandem, der den Schandstrick um den Hals trug, die ein Segenswunsch waren, den ein notorischer Verbrecher nach achtern zu den Ehrenquartieren sandte, Worte, die hinausgeschmettert wurden wie die helle Melodie eines Singvogels, der sich eben von seinem Zweig emporschwingen will — diese Worte waren von einer unerhörten Wirkung, die noch gesteigert wurde durch die seltene, jetzt von der letzten schneidend tiefen Erfahrung vergeistigten Schönheit des jungen Matrosen.
Unwillkürlich erscholl, als ob die Mannschaft tatsächlich von dem Ruf wie von einem elektrischen Schlag getroffen sei, von oben und unten einstimmig ein widerhallendes Echo: "Gott segne Kapitän Vere!" Und doch mußte in diesem Augenblick Billy allein in ihren Herzen gewesen sein, so wie er ihnen vor Augen stand.
Bei diesem Ausruf und dem spontanen Echo, das ihn gewaltig zurückgab, stand Kapitän Vere, sei es in stoischer Selbstbeherrschung oder in einer augenblicklichen, durch den Schock der Erregung hervorgerufenen Lähmung, starr da wie eine Muskete im Regal des Schiffsbüchsenmachers.
Der Rumpf des Schiffes hatte sich aus dem gleichmäßigen Rollen nach Lee gerade wieder zur waagerechten Lage aufgerichtet, als das verabredete letzte stumme Zeichen gegeben wurde. In demselben Augenblick geschah es, daß der niedrig im Osten hängende Wolkendunst wie das Vlies des Gotteslammes in einer mystischen Vision von einem sanften Glanz durchbrochen wurde. Zur gleichen Zeit stieg Billy empor, verfolgt von der gedrängten Masse der nach oben gewandten Gesichter, und im Aufsteigen empfing er die volle Röte des anbrechenden Tages.
Zum Erstaunen aller war an der gefesselten Gestalt, als sie jetzt an
der Rahennock hing, keine Bewegung zu bemerken
mit Ausnahme derjenigen, die bei mäßig bewegter See von dem so majestätisch
großen und schwerbestückten Schiff hervorgerufen wurde. - Herman
Melville, Billy Budd, Vortoppmann. Nach:
H. M., Redburn. Israel Potter. Sämtliche
Erzählungen. München 1967 (zuerst 1854)
Himmelfahrt (6)
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