Dexenprobe    Sie hatte nicht aufgepaßt. Weil sie bleiben wollte, wo sie war, beschloß sie, sich - vorübergehend - zu bessern und dadurch die blinde Vernarrtheit ihres Trottels von Ehemann wieder zurückzugewinnen.

Während Mr. Wooly seinen Tag damit verbracht hatte, dem Polizeichef und der Weltgeschichte und Gott Löcher in den Bauch zu fragen, hatte Mrs. Wooly in derselben Zeit eine Dauerwelle, eine Gesichtspflege und energische Massagen über sich ergehen lassen, hatte sich mit Putzmacherinnen, Modistinnen, Pelzhändlern beraten, acht Paar Schuhe gekauft und was dergleichen Dinge mehr sind. Sie hatte sogar im Gemeindezentrum einem Kammerkonzert gelauscht. Sie fühlte sich fast völlig als Ehefrau, und als sie abends gegen halb zehn die Räder von Mr. Woolys Taxi auf dem Kies knirschen hörte, hüpfte sie in die Bibliothek - wo er sich im Parterre am liebsten aufhielt - und arrangierte sich auf dem salbeigrünen Brokat der Couch, in der Hand einen aufgeschlagenen Band mit Longfellows Gedichten. Sie war das reinste lebende Bild. Voller Selbstvertrauen wartete sie und lächelte ganz leicht, als sie hörte, wie Mr. Wooly Bentley fragte, wo Mrs. Wooly sei. Er suchte sie. Er brauchte sie.

Er kam auch sofort zu ihr, ein kleiner, straffer Mann im dunklen Zweireiher, das braune Haar ordentlich gekämmt, die großen braunen Augen eher wild. Er ging direkt auf den trophäengeschmückten Kamin zu, von dem er erst letzte Nacht das Schlachtbeil heruntergenommen hatte; diesmal jedoch holte er sich (sie merkte es erst, als er sich umdrehte und vor sie hintrat) eine lange mexikanische Viehpeitsche, hergestellt aus dem Penis eines Bullen, natürlich gut gegerbt und als solcher nicht mehr erkennbar, mit einem geflochtenen Riemen. Als er sie fest im Griff hielt, stürzte er sich blitzartig auf seine Frau und drückte ihr, bevor sie etwas anderes tun konnte, als sich auf der Couch aufzurichten, ein kleines, in Leder gebundenes Gebetbuch in die Hand. Dann knallte er mit seiner abscheulichen Waffe und verkündete mit lauter, kräftiger Stimme:

»Es ist aufgeschlagen beim Vaterunser; lies, meine Schöne, lies, oder die Fetzen fliegen!«

Fürwahr ein sonderbarer Anblick: Die entzückend gekleidete, schrägäugige kleine Frau, vor ihr der Gatte, dessen gewaltige Wut ihn zu doppelter Große anschwellen ließ, offen in ihrem schwachen, widerwilligen Griff die Bibel - und in seiner gerechten Hand die schwarze Lederpeitsche, die sich ringelte und zischte. Als sie das Schweigen lang werden ließ, hob er die Peitsche, und sie sang ein schreckliches, schrilles Lied über dem grünen Samt von Jenni-fers Kleid.

»Lies!« rief er und sagte ihr den Anfang vor: »Vaterunser, der du bist im Himmel...«

Sie war blaß geworden. Entsetzen hielt sie gepackt. Aber als er ihr Erschrecken bemerkte, schrie Mr. Wooly nur noch lauter: »Lies!«

»Himmel im bist du der, unser Vater«, sagte sie. Darauf trat er zwei Schritt zurück, breitete die Arme weit aus wie ein Zirkusdirektor oder Raubtierdompteur (und war er das nicht auch?) und rief: »Zauberin! Hexe! Graues altes Weib des Bösen! Ich habe dich durchschaut. Sprich weiter: >GeheiIigt werde dein Name<...« »Name dein werde geheiligt«, sagte sie mit zitternder Stimme, denn als Hexe konnte sie das Vaterunser nur rückwärts deklamieren wie bei der Schwarzen Messe.

Als sie es zu Ende gesprochen hatte, sank sie erschöpft zurück, ganz und gar hilflos vor ihm.

Er ließ die Peitsche sinken und zog sich einen Stuhl heran. »Wie war's mit Miami ?« bemerkte er und begann damit das zweifellos schwierigste Verkauf s gespräch, das er je versucht hatte. »In

Miami kann jeder wohnen«, meinte er. »Du mußt einsehen, daß du sofort von hier weggehen und nie wiederkommen mußt. Und Hollywood? Hollywood würde dir gefallen. Da gehörst du hin. Oder Chikago? Aber nein - erst einmal Reno - ich habe gehört, daß es eine sehr reizvolle Stadt ist, voll mit allem Bösen, und dort könntest du dich scheiden lassen.« Und so ging es weiter, und während er sprach, wurden seine Argumente immer logischer. Er schilderte die Vorzüge dieses oder jenes Ortes, wohlgemerkt, die Vorteile aus höllischer Sicht, nicht etwa vom Standpunkt der Verbesserung des Gemeinsinns oder der sauberen Politik oder der Sparsamkeit aus.

Sie hörte zu, bis er fertig war und starrte ihn an. Sie verstand, daß er unerbittlich war.

»Okay«, sagte sie. »Du hast gewonnen - bis jetzt.« Dabei überlegte sie, wie sie es ihm heimzahlen konnte. »Du bist so ein selbstgerechter kleiner Esel«, fuhr sie fort. »Du glaubst, du hättest gelebt und etwas gelernt. Aber du hast überhaupt nichts gelernt. Ich sehe ein, du kleiner Stadtrand-Sahib, daß ich zu nachlässig gewesen bin, daß du jetzt endlich gemerkt hast, wer ich bin und warum ich so einen kleinen, schweineartigen, aufgeblasenen Windbeutel wie dich geheiratet habe, Mr. Wooly. Als Sprungbrett, als Fußabtreter, warst du gar nicht so übel, aber für alles andere... ich werde froh sein, wenn ich dich los bin!«   - Thorne Smith (mit Norman Matson), Meine Frau, die Hexe. Frankfurt am Main 1989 (zuerst 1941)

Hexenprobe (2)

Hexe Probe

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