Hexen  Paula ist zehn Jahre alt. Die Lampe im Eßzimmer streut rötliche Funken auf ihren Nacken und das kurze Haar. Über ihr - sie kommen ihr riesig, weit entfernt, unwirklich vor - diskutieren ihre Eltern und der alte Onkel unverständliche Dinge. Das kleine schwarze Dienstmädchen hat den unvermeidlichen Teller Suppe vor Paula hingestellt. Sie muß sie essen, bevor die Stirn der Mutter sich mit befremdlichem Mißfallen in Falten legt, bevor zu ihrer Linken der Vater »Paula« sagt und in diesen einfachen Namen eine unüberhörbare Drohung legt.

Die Suppe essen. Nicht sie schlürfen: sie essen. Sie ist lau und aus dickem Grieß: sie haßt diesen weißlichen, klitschigen Brei. Sie denkt, wenn der Zufall eine Fliege dazu brächte, sich in den riesigen gelblichweißen Morast des Tellers zu stürzen, dann würde man ihr erlauben, ihn beiseite zu schieben, und das scheußliche Ritual bliebe ihr erspart. Eine Fliege, die in ihren Teller fiele. Nichts weiter als eine kleine, elende, schillernde Fliege.

Ihr Blick ist fest auf die Suppe gerichtet. Sie denkt an eine Fliege, wünscht sie herbei, erwartet sie.

Und da erscheint die Fliege genau in der Mitte des Grießbreis. Ganz klebrig und mitleiderregend schleppt sie sich ein paar Millimeter voran, bevor sie krepiert.

Man nimmt den Teller fort, und Paula ist gerettet. Doch nie wird sie die Wahrheit sagen; nie wird sie gestehen, daß sie die Fliege nicht in den Grießbrei hat fallen sehen. Sie hat gesehen, wie sie dort erschien, das ist was anderes.   - Julio Cortázar, Die Nacht auf dem Rücken. Die Erzählungen Bd. 1. Frankfurt am Main 1998

 

Hexe Zaubern

 

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