erzensbedürfnisse  Für Erfindungen sind Erfinder da; die Schnellöterin Elisabeth Daeneke, die Halbleiterteile in einem Großbetrieb der elektronischen Industrie lötete, war für Routinearbeit vorgesehen. Aus unbezwinglicher Sehnsucht, früher nach Hause zu kommen, lernte sie, die Halbleiterteile, von denen sie täglich ein bestimmtes Soll zu bearbeiten hatte, unter Verwendung eines von ihr erfundenen Abkürzungsverfahrens zu löten. Dagegen verlor der Betrieb, der sie entließ, ihre Erfindung jedoch seinerseits verwendete, ein Stück seiner Identität: er sah sich gezwungen, den Gegenwert von Elisabeth Daenekes (unter Freunden wurde sie Knautsch-Betty genannt) Erfindung, ohne Einbehaltung eines Mehrwerts, zu bezahlen, was vorher und nachher nicht im Sinne der Firma war.

Knautsch-Betty war für Rache an sich ungeeignet; wenn ihr eine Umgebung nicht bekam, so wechselte sie sie. Alle Abmagerungskuren, die sie aber jeweils aufgab, wenn sie lästig wurden, konnten die Breite ihres hübschen Körpers nicht schmälern. Die empfindlichen Brüste waren sicher untergebracht und gehalten vom Oberteil ihres Overalls. Wie ein Schwamm saugte dieser Körper die Eindrücke der Umgebung auf, viel Platz für Unangenehmes, und verarbeitete sie. Diese »unbestellte Arbeit« neben ihrer Arbeit als Schnellöterin fiel keinem Refa-Experten und auch dem Kontrollauge des Werkmeisters nicht auf.

Täglich lötete sie ihr Soll an Schaltkreisen. »Ich kann arbeiten, aber daß mich Arbeit befriedigt, würde ich nicht sagen.« Sie wartete täglich auf das Ende des Lötens. Nach Durchschreiten des Werktors sammelte sie ihre Glieder auf der Couch ihres Liebhabers, Rechtsanwalt Düppelmann. Das beschäftigte ihren Sinn: wie sie diese kuschelige Ecke möglichst rasch erreichen könnte. An sich fühlte sie sich für mehr gut. Sie hatte jetzt, nach Arbeitsschluß, angestrengt durch die zusätzliche Arbeit, Körper und Geist bis zur Erreichung der Couch einigermaßen zusammenzuhalten, nicht allzuviel Kraft mehr zu verwalten. Ihr Wunsch nach »mehr« drückte sich vor allem darin aus, daß sie schon längere Zeit bei Düppelmann ausharrte, der ihr immer wieder versprach, »mehr« zu geben, als er hatte. Er war jetzt 46 Jahre alt: ihm schien Betty sein letztes Stückchen Leben, das er noch zu erwarten hatte. Dieses ideelle Moment in Düppelmanns Verhalten hielt Betty fest (wie man sich bei Schwindelgefühl an den Stangen einer Schiffsschaukel besonders festhält). »Sie war jetzt 20, zweimal verheiratet, geschieden, hatte eine kolossale Menge von Liebhabern befriedigt, da melden sich schon mal die Herzensbedürfnisse.« - (klu)

Herz Gefühle, moralische
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