erz,
kniendes
In der apokryphen Oratio Manassae, die um 70 n. Chr. verfaßt
sein dürfte und im Anhang der Vulgata steht, liest man: et nunc flecto genua
cordis mei, «und nun beuge ich die Kniee meines Herzens ». Der 1. Clemensbrief
Kap. 17 hat das übernommen, wozu der Herausgeber bemerkt, die Wendung finde
sich in den Vätern und Konzilien häufig. Sie ist auch in die Liturgie übergegangen
und hat sich dadurch dem Gedächtnis der Kirche eingeprägt, wie sie denn auch
in mittelalterlicher Poesie vorkommt. Auch darüber hinaus hat das Wort von den
«Knieen des Herzens» wie viele Pathosforneln der Antike eine sehr starke Nachwirkung
gehabt - auch im bibelfesten Protestantismus. Heinrich von Kleist verwendet
es in der Penthesilea (Vers 2800) und in einem Brief an Goethe
(24.Januar 1808). - Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches
Mittelalter. Bern und München 1969 (zuerst 1948)
Herz, kniendes (2) Hochwohlgeborner Herr, Hochzuverehrender Herr Geheimrat,
Ew. Exzellenz habe ich die Ehre, in der Anlage gehorsamst das 1. Heft des Phöbus zu überschicken. Es ist auf den »Knieen meines Herzens« daß ich damit vor Ihnen erscheine; möchte das Gefühl, das meine Hände ungewiß macht, den Wert dessen ersetzen, was sie darbringen.
Ich war zu furchtsam, das Trauerspiel, von welchem Ew. Exzellenz liier ein Fragment finden werden, dem Publikum im Ganzen vorzulegen. So, wie es hier steht, wird man vielleicht die Prämissen, als möglich, zugeben müssen, und nachher nicht erschrecken, wenn die Folgerung gezogen wird.
Es ist übrigens ebenso wenig für die Bühne geschrieben, als jenes frühere Drama: der Zerbrochne Krug, und ich kann es nur EW. Exzellenz gutem Willen zuschreiben, mich aufzumuntern, dies letztere gleichwohl in Weimar gegeben wird. Unsre übrigen Bühnen sind weder vor noch hinter dem Vorhang so beschaffen, daß ich auf diese Auszeichnung rechnen dürfte, und so sehr ich auch sonst in jedem Sinne gern dem Augenblick angehörte, so muß ich doch in diesem Fall auf die Zukunft hinaussehen, weil die Rücksichten gar zu niederschlagend wären.
- Kleist an Goethe, 24. Januar 1808
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Ew. Hochwohlgebornen bin ich sehr dankbar für das übersendete Stück des Phöbus.
Die prosaischen Aufsätze, wovon mir einige bekannt waren, haben mir viel Vergnügen
gemacht. Mit der Penthesilea kann ich mich noch nicht befreunden. Sie ist aus
einem so wunderbaren Geschlecht und bewegt sich in einer so fremden Region daß
ich mir Zeit nehmen muß mich in beide zu finden. Auch erlauben Sie W zu sagen
(denn wenn man nicht aufrichtig sein sollte, so wäre es man schwiege gar), daß
es mich immer betrübt und bekümmert, ich junge Männer von Geist und Talent sehe,
die auf ein Theater u>aT~ ten, welches da kommen soll. Ein Jude der auf den
Messias, ein Christ der aufs neue Jerusalem, und ein Portugiese der auf den
Don Sebastian wartet, machen mir kein größeres Mißbehagen. Vor jedem Brettergerüste
möchte ich dem wahrhaft theatralischen Genie sagen: hic Rhodus, hic salta! Auf
jedem Jahrmarkt getraue ich mir, auf Bohlen über Fässer geschichtet, mit Calderons
Stücken, mutatis mutandis, der gebildeten und ungebildeten Masse das höchste
Vergnügen zu machen. Verzeihen Sie mir mein Geradezu: es zeugt von meinem aufrichtigen
Wohlwollen. Dergleichen Dinge lassen sich freilich mit freundlichem Toumüren
und gefälliger sagen. Ich bin jetzt schon zufrieden, wenn ich nur etwas vom
Herzen habe. Nächstens mehr. Goethe an Kleist, 1. Februar 1808