errscher Er
selbst setzte seinem Volk das Beispiel. Während seiner fast ein Menschenalter
dauernden asketischen Herrschaft kannte er für sich selbst keinerlei materiellen
Genuß, keine künstlerischen oder literarischen Interessen, sondern nur
unermüdliche Arbeit. Vom frühesten Morgengrauen bis spät in die Nacht regierte
er sein Land, in völliger Einsamkeit, ohne Familie, ohne Freunde, ohne
Günstlinge, ohne andere Mitarbeiter als untergeordnete Hilfskräfte. - Nach: Ralf Höller, Der Kampf bin ich. Rebellen und Revolutionäre aus sechs Jahrhunderten.
Berlin 2001
Herrscher (2) Die Herrscher der Vorzeit schrieben alles Gelingen dem Volke, alles Mißlingen sich selber zu. Was recht war, maßen sie dem Volke, was unrecht war, sich selber bei. Wenn ein Schaden geschah, rügten sie sich selber.
Nicht so die Herrscher dieser Zeit. Sie verhehlen ein Ding und rügen, die es nicht sehen können. Sie legen gefährliche Arbeiten auf und strafen, die sie nicht zu unternehmen wagen. Sie verhängen überschwere Lasten und züchtigen, die sie nicht zu tragen vermögen. Sie befehlen überlange Märsche und richten hin, die nicht standhalten.
Und da das Volk fühlt, daß seine Kräfte all dem nicht gewachsen sind, nimmt
es seine Zuflucht zum Betrug. Denn wo so große Lüge herrscht, wie sollte da
das Volk nicht lügnerisch sein? Wenn seine Stärke nicht ausreicht, nimmt es
seine Zuflucht zum Betrug. Wenn sein Wissen nicht ausreicht, nimmt es seine
Zuflucht zur Täuschung. Wenn sein Besitz nicht ausreicht, nimmt es seine Zuflucht
zum Raub. Und wer ist es, der solchen Raubes Schuld und Verantwortung trägt?
- Tschuang-Tse, Reden und Gleichnisse. Übs. und Hg. Martin
Buber. Zürich 1990 (ca.)
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