errlichkeit
Die Archäologie spürt in den Schichten der Erde Reiche um Reiche auf,
von denen selbst die Namen verloren gegangen sind. Die Trauer,
die uns an solchen Stätten ergreift, ist außerordentlich, und sie ist vielleicht
in keinem Bericht der Welt eindringlicher geschildert als in dem mächtigen und
geheimnisvollen Märchen von der Messingstadt. In dieser ausgestorbenen und von
Wüsten umringten Stadt liest der Emir Musa auf einer Tafel von chinesischem
Stahl die Worte: »Ich besaß viertausend braune Rosse und einen stolzen Palast,
und ich hatte zu Weibern tausend Töchter der Könige, hochbusige Jungfrauen,
Monden gleich; ich war gesegnet mit tausend Söhnen gleich wilden Löwen, und
ich lebte froh an Herz und Seele tausend Jahre lang; und Schätze häufte ich,
wie sie alle Könige aller Striche der Erde nicht besaßen, denn ich glaubte,
die Wonne werde bei mir verweilen. Aber unversehens
überfiel mich der Vernichter aller Wonnen und der Trenner aller Gemeinschaft,
der Veröder der Wohnstätten, der Plünderer bewohnter Orte, der Mörder der Großen
wie Kleinen, der Säuglinge, Kinder und Mütter — er, der kein Erbarmen hat mit
dem Armen um seiner Armut willen und der den König nicht fürchtet, soviel er
auch gebiete und verbiete. Wahrlich, wir lebten sicher und wohlbehalten in diesem
Palaste, bis über uns kam das Gericht.« Ferner stehen auf einem Tisch aus gelbem
Onyx die Worte eingegraben: »An diesem Tische haben tausend Könige gespeist,
die blind waren auf dem rechten Auge, und tausend, die blind waren auf dem linken
Auge, und nochmals tausend, die sehend waren auf beiden Augen, und alle sind
dahingegangen aus der Welt und haben ihren Wohnsitz in den Gräbern und Katakomben
aufgeschlagen.« - Ernst Jünger, Über den Schmerz.
Stuttgart 1980 (zuerst 1934)
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