eilung   Ich verdanke meine völlige Wiederherstellung einer Entdeckung, die ich während meiner Behandlung in einer sehr kostspieligen Spezialklinik machte. Ich entdeckte nämlich, daß eine unerschöpfliche Quelle gesunder Freuden das Hänseln der Psychiater ist: sie geschickt irrezuführen; sich nie anmerken zu lassen, daß man alle ihre professionellen Tricks kennt; komplizierte Träume - Klassiker ihrer Gattung - für sie zu erfinden (die ihnen, den Traumerpressern, Träume verursachen und sie schreiend auffahren lassen); sie mit vorgeschwindelten «Urszenen» zu necken; und ihnen nie auch nur den leisesten Einblick in seine wahre sexuelle Not zu erlauben. Durch Bestechung bewog ich eine der Krankenschwestern, mir ein paar Krankenakten zugänglich zu machen, und voller Schadenfreude stieß ich auf Karteikarten, die mich als «potentiell homosexuell» und «total impotent» bezeichneten. Der Spaß war so köstlich, seine Ergebnisse - in meinem Falle - so erfrischend, daß ich nach meiner völligen Genesung (ich schlief wunderbar und aß wie ein Schulmädchen) noch einen ganzen Monat dablieb. Und dann legte ich noch eine Woche zu, nur um des Vergnügens willen, es mit einem einflußreichen Neuankömmling aufzunehmen, einem vertriebenen (und gewiß verrückten) Großkopferten, bekannt für seine Fähigkeit, den Patienten weiszumachen, sie seien Zeuge ihrer eigenen Empfängnis gewesen.   - (lo)

Heilung (2) »Nehmen Sie hier am Fenster Platz«, riet ihr der Glatzköpfige und wischte sich die Augen, »damit Sie was von der Gegend haben.«

Das Mädchen betastete den Sitz, dann das Fenster. Sie hielt die linke Hand waagrecht in der Luft, als prüfte sie, ob es regnete. Dann sagte sie: »Draußen scheint die Sonne.« Die Mitreisenden verstummten. »Der Herr auf dem Bahnhof war wohl Ihr Vater?« fragte nach einer Weile der Reisende, der mit dem Mädchen zugestiegen war.

»Ja. Ach, Sie müßten ihn näher kennenlernen. Um ihn kann mich jeder beneiden. Er ist Obstgärtner. Was der alles erlebt! Vor ein paar Jahren überfuhr er mit dem Lieferwagen die Dymáckova, unsere hinkende Nachbarin. Die Sache kam vors Gericht. Vaters Feinde freuten sich schon, Gott sei Dank, der alte Krista kommt in den Knast, oder er muß blechen, bis er schwarz wird. Aber die alte Dymáckova erschien ohne Krückstock bei der Verhandlung und küßte dem Vater die Hand, weil er sie so gut überfahren hatte, daß sie nun nicht mehr hinkte. Schade, meinte sie, daß sie der Vater nicht schon vor dreißig Jahren überfahren hätte, dann wäre sie bestimmt noch unter die Haube gekommen.«

»Großartiger Vater«, lobte der Krauskopf.  -  Bohumil Hrabal, Das diamantene Auge. In: B. H., Die Bafler. Erzählungen. Frankfurt am Main 1966 (es 180, zuerst 1964)

Heilung (3) Einmal lag Romainville, der berühmte Gottlose, im Sterben; ein Franziskaner kam ihm die Beichte abnehmen. Der Chevalier von Rocquelaure nimmt ein Gewehr, hält es dem Pater an die Backe und sagt: «Geht nach Hause, Pater, oder ich töte Euch. Er hat wie ein Hund gelebt, er muß wie einer sterben.» Das brachte Romainville solchermaßen zum Lachen, daß er daran gesundete. Der Chevalier selbst beichtete einige Jahre danach und starb wie jeder andere Mensch, indem er sagte, er fürchte, nicht genügend Zeit zu echter Reue zu haben.   - (tal)

Heilung (4) Ein Mann, der sich am Hodensack operieren lassen wollte, flehte zu Sarapis um das Gelingen der Operation und träumte, der Gott sage ihm: «Laß den Eingriff ruhig vornehmen, du wirst durch ihn geheilt werden.» Der Mann starb; denn er sollte wie ein Geheilter von Mühsal frei werden. Ganz folgerichtig ereilte ihn dieses Geschick, weil Sarapis kein olympischer oder ätherischer, sondern ein Gott der Unterwelt ist.  - (art)

Heilung (5)

Kaum sieht der Graf, daß hier ein Kreis sich bilde,
Als er den Stock ganz wild und wütend schwenkt
Und Dudo'n zeigt, da dieser mit dem Schilde
Das Haupt verwahrt und anzulaufen denkt,
Sein Prügel sei von nicht zu großer Milde;
Und hätt' ihn Olivier nicht abgelenkt
Mit seinem Schwert, so schlug der böse Knacken
Ihm Schild und Helm entzwei, und Kopf und Nacken.

Den Schild nur bricht er, doch mit solcher Tücke
Packt er den Helm, daß Dudo stürzt aufs Land.
Das Schwert führt Sansonett mit beßrem Glücke;
Er trifft den Stock zwei Ellen weit vom Rand
Und haut mit aller Macht ihn in zwei Stücke.
Von hinten nun kommt Brandimart gerannt
Und schlingt um Rolands Hüften im Vereine
Die beiden Arm'; Astolf packt ihm die Beine.

Doch Roland schüttelt sich, da stürzt der Brite
Rücklings dahin; zehn Schritte fliegt der Wicht.
Nur Brandimart, der besser in der Mitte
Und kräft'ger ihn gepackt, verläßt ihn nicht.
Den Olivier, der mit zu kühnem Schritte
Sich ihm genaht, schlägt er ins Angesicht.
Gleich liegt der Ritter bleich und blaß im Grase,
Und Blut entströmt den Augen und der Nase.

Und wär am Helm ein Fehler nur vorhanden,
So gäb' der Faustschlag Oliviern den Tod;
Doch stürzt' er hin, als ob er schon den Landen
Des Paradieses seine Seele bot.
Astolf und Dudo, die indes erstanden
(War gleich des letztren Antlitz dick und rot),
Und Sansonett, dem jener Hieb gelungen,
Sind alle nun auf Roland eingedrungen.

Der Dudo eilt, von hinten ihn zu packen,
Und sucht ein Bein ihm unten wegzuziehn,
Indes die andern ihm die Arme zwacken:
Doch alle sind zu schwach noch gegen ihn.
Wer je den Stier gesehn, gehetzt von Bracken,
Die mit dem Zahn ihn an den Ohren ziehn,
Indes er brüllend rennt und fort im Rennen
Die Hunde schleift, die nicht von ihm sich trennen:

Der denke sich, so war der starke Wilde,
Der alle diese mit von hinnen trug.
Indes ersteht der Markgraf vom Gefilde,
Wohin des Grafen Faust ihn niederschlug;
Und da er sieht, nie komme, was im Schilde
Der Herzog führt, auf die Art zum Vollzug,
So sinnt er drauf, Roland zu Fall zu bringen,
Vollführt den Plan und sieht ihn wohl gelingen.

Er läßt sogleich die stärksten Stricke holen
Und macht zu seiner Absicht Schlingen dran;
Und diese windet man, wie er befohlen,
Um Rolands Arme, Bein' und Leib sodann.
Festhalten wird nun allen wohl empfohlen,
Und jeder faßt der Enden eines an.
Wie Schmiede Pferd' und Ochsen niederreißen,
Gelingt es so, den Grafen umzuschmeißen.

Sie alle nun, sobald er hingeschlagen,
Umwinden ihm noch stärker Arm und Bein;
Und mag er noch so sehr sich mühn und plagen,
Gelingt's ihm dennoch nicht, sich zu befrei'n.
Astolf befiehlt, von hier ihn wegzutragen,
Und spricht, er wolle Heilung ihm verleihn.
Dudo, der groß ist, eilt, ihn aufzupacken,
Und trägt ihn bis ans Meer auf seinem Nacken.

Nun läßt Astolf erst siebenmal ihn baden
Und siebenmal ihn tauchen in die Flut,
Und ihm den Leib und das Gesicht entladen
Vom Schmutz und Rost, der auf den Gliedern ruht.
Dann wird der Mund mit Krautern vollgeladen,
Wie sehr auch Roland bläst und schnaubt vor Wut,
Damit der Atem nicht auf andrem Gange,
Als durch die Nas' allein, zu ihm gelange.

Drauf ließ der Herzog das Gefäß sich geben,
In welchem der Verstand des Grafen war,
Und wußt's ihm an die Nase so zu heben,
Daß, Atem schöpfend, er es ganz und gar
Auf einmal leert'. O wundervoll Begeben!
Man ward an ihm den vor'gen Geist gewahr,
Und sein Verstand, in allen Äußerungen,
Schien mehr denn je von hellem Licht durchdrungen.

Wie einer, der aus schwerem Schlaf erwachte,
Worin er glaubt', ein Ungeheu'r zu sehn,
Das niemals war noch sein kann, oder dachte.
Entsetzlich grause Taten zu begehn,
Noch immer staunt, wenn man ihn zu sich brachte
Und alle Sinn' ihm zu Gebote stehn:
So blieb, war gleich der Wahnsinn ihm entnommen
Auch Roland noch verwundert und beklommen.

Mit Staunen gafft er, ohn' ein Wort zu sagen,
Den Brandimart, den Bruder Aldas an,
Auch den, der den Verstand ihm zugetragen,
Und sinnt, wie er hieher kam, oder wann.
Er läßt die Blick' umher im Kreise jagen
Und weiß nicht, wo er sich befinden kann.
Es wundert ihn, ganz nackt sich zu erblicken,
Vom Nacken bis zum Fuß umschnürt mit Strichen.

Dann sagt' er, wie Silen zu jenen sagte,
Die einst ihn banden in dem Felsenschacht:
»Solvite me«, und solche Klarheit tagte
In seinem Blick, fern aller Wahnsinnsnacht,
Daß man ihn zu befrei'n nicht länger zagte.
Man gab ihm Kleider, die man mitgebracht;
Und alle suchten diesen Schmerz zu stillen,
Den er empfand um der Verirrung willen. 

Kaum war nun Roland zu sich selbst gekommen,
Zu weiser Männlichkeit zurückgekehrt,
So war ihm auch die Liebe ganz entnommen;
Und jene, die er einst so hoch verehrt,
Die ihm so hold, so reizend vorgekommen,
Schien jetzt ihm nicht der kleinsten Achtung wert.
Sein ganzes Streben war, sein ganzes Sinnen,
Was Lieb' ihm raubte wiederzugewinnen.

- (rol)

Heilung (6)  Gemäß der Theorie seines Großonkels griff der Apotheker auf den Magneten zurück. Diese Theorie war ein wenig anachronistisch, aber alles deutete darauf hin, daß hier eine krankhafte fixe Idee genau der Spezies vorlag, die der Großonkel beschrieb. Also führte Maggiani seine Frau in das Hinterzimmer der Apotheke, wo eine orthopädische Liege stand. »Leg dich hin«, sagte er zu ihr. Seine Frau legte sich hin. Es stand nämlich in dem Manuskript, man müsse sich hinlegen. »Mach die Augen zu.« So lautete die Vorschrift: Der Patient muß sich im Zustand zerebraler Fügsamkeit befinden. Die Frau schloß zwar die Augen, sagte aber: »Mach schnell, mach schnell«; denn sie spürte, daß die Welt keinen Zusammenhalt mehr hatte. Dann legte Dr. Maggiani den Magneten auf. Er war in weiße Gaze aus der Apotheke gewickelt, damit sie ihn nicht sehen konnte; er legte ihn ihr in die Nähe des Kopfes, des Hinterkopfes. Der Magnet war 400 Gramm schwer und kam aus einer Mechanikerwerkstatt. Einen solchen Magneten bekommt man nicht leicht als Einzelstück zu kaufen. Man bekommt nur kleinere in Schreibwarenläden. Aber die erste Anwendung muß stark sein; daher eignen sich die Magneten aus der Dynamomaschine eines Autos oder Lastwagens.

Nachdem zehn Minuten vergangen waren, fragte Dr. Maggiani: »Was spürst du denn?« Und seine Frau: »Daß die Welt knarrt.« Sie sagte aber auch, so angsterregend knarre sie eigentlich nicht mehr wie früher; es komme ihr vor, als ob sie ein wenig zur Ruhe käme. »Es ist, als würde sie nur noch ein klein wenig knistern«, sagte sie. Die Frau wußte nichts von dem Magneten. Der Patient darf nichts wissen, denn sonst könnte die krankhafte fixe Idee dem magnetischen Kraftfeld Widerstand leisten. Sie blieb noch einige Minuten mit dem Magneten liegen, dann stand sie auf und sagte, sie habe sich bis jetzt getäuscht. Sie war daher sehr froh. »Die Welt besteht weiter und quietscht ein bißchen«, erklärte sie ihrem Mann. Und der Mann sagte: »Das ist natürlich.« »Wie ein Schubkarren«, sagte seine Frau. - (cav)

Heilung (7) Jeder Arzt, der etwas taugt, weiß, daß niemand »geheilt« werden kann. Wir erholen uns von irgendeinem somatischen, einem körperlichen »Fieber«, wobei wir als Beobachter Zeuge waren, wie unsere Zell-Bataillone mit diesem oder jenem tödlichen Manöver gegen andere Bestandteile der Natur gefochten haben. Ein fesselnder Vorgang. Etliche Abwasser- oder Zuleitungsrohre haben hier und da dem Druck nachgegeben; etliche neue Gesetzmäßigkeiten sind unserem Wissen hinzugefügt worden. Aber der Begriff Heilung ist absurd, ebenso absurd wie die Bezeichnung »Krankheit« für derlei Geplänkel. Manchmal siegt die Heimmannschaft, manchmal siegen die Gäste. Große Aufregung. Es ist bemerkenswert, daß die Sulfonämide und das Penicillin ungefähr gleichzeitig mit Ted Williams, Ralph Kiner und dem Gummiball aufkamen. Wir verlangen nach homeruns, nach Antibiotika, die den Menschen mit einer einzigen Spritze in den Hintern »heilen«. Aber nachdem man den Ball in die Centerfield-Tribüne geschlagen und das Spiel gewonnen hat, muß man immer noch zum Abendessen nach Hause gehen. Na und? Die Arena wartet mit leerem Blick auf das nächste Spiel, die nächste Saison, die nächste Bombe. Lachhaft. - (wcwa)


Heilkunst

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