ang  Unter einem Hange (propensio) verstehe ich den subjektiven Grund der Möglichkeit einer Neigung (habituellen Begierde, concupiscentia), sofern sie für die Menschheit überhaupt zufällig ist.* Er unter scheidet sich darin von einer Anlage, daß er zwar angeboren sein kann, aber doch nicht als solcher* vorgestellt werden darf: sondern auch (wenn er gut ist) als erworben, oder (wenn er böse ist) als von dem Menschen selbst sich zugezogen gedacht werden kann. - Es ist aber hier nur vom Hange zum eigentlich, d. i. zum moralisch Bösen die Rede; welches, da es nur als Bestimmung der freien Willkür möglich ist, diese aber als gut oder böse nur durch ihre Maximen beurteilt werden kann, in dem subjektiven Grunde der Möglichkeit der Abweichung der Maximen vom moralischen Gesetze bestehen muß, und, wenn dieser Hang als allgemein zum Menschen (also, als zum Charakter seiner Gattung) gehörig angenommen werden darf, ein natürlicher Hang des Menschen zum Bösen genannt werden wird. - Man kann noch hinzusetzen, daß die aus dem natürlichen Hange entspringende Fähigkeit oder Unfähigkeit der Willkür, das moralische Gesetz in seine Maxime aufzunehmen, oder nicht, das gute oder böse Herz genannt werde.

Man kann sich drei verschiedene Stufen desselben denken. Erstlich, ist es die Schwäche des menschlichen Herzens in Befolgung genommener Maximen überhaupt, oder die Gebrechlichkeit der menschlichen Natur; zweitens, der Hang zur Vermischung unmoralischer Triebfedern mit den moralischen (selbst wenn es in guter Absicht, und unter Maximen des Guten geschähe), d. i. die Unlauterkeit; drittens, der Hang zur Annehmung böser Maximen, d.i. die Bösartigkeit der menschlichen Natur, oder des menschlichen Herzens.

Erstlich, die Gebrechlichkeit (fragilitas) der menschlichen Natur ist selbst in der Klage eines Apostels ausgedrückt: Wollen habe ich wohl, aber das Vollbringen fehlt, d.i. ich nehme das Gute (das Gesetz) in die Maxime meiner Willkür auf; aber dieses, welches objektiv in der Idee (in thesi) eine unüberwindliche Triebfeder ist, ist subjektiv (in hypothesi), wenn die Maxime befolgt werden soll, die schwächere (in Vergleichung mit der Neigung).

Zweitens, die Unlauterkeit (impuritas, improbitas) des menschlichen Herzens besteht darin: daß die Maxime dem Objekte nach (der beabsichtigten Befolgung des Gesetzes) zwar gut und vielleicht auch zur Ausübung kräftig genug, aber nicht rein moralisch ist, d. i. nicht, wie es sein sollte, das Gesetz allein, zur hinreichenden Triebfeder, in sich aufgenommen hat: sondern mehrenteils (vielleicht jederzeit) noch anderer Triebfedern außer derselben bedarf, um dadurch die Willkür zu dem, was Pflicht fordert, zu bestimmen. Mit andern Worten, daß pflichtmäßige Handlungen nicht rein aus Pflicht getan werden.

Drittens, die Bösartigkeit (vitiositas, pravitas), oder, wenn man lieber will, die Verderbtheit (corruptio) des menschlichen Herzens, ist der Hang der Willkür zu Maximen, die Triebfeder aus dem moralischen Gesetz andern (nicht moralischen) nachzusetzen. Sie kann auch die Verkehrtheit (perversitas) des menschlichen Herzens heißen, weil sie die sittliche Ordnung in Ansehung der Triebfedern einer freien Willkür umkehrt, und, ob zwar damit noch immer gesetzlich gute (legale) Handlungen bestehen können, so wird doch die Denkungsart dadurch in ihrer Wurzel (was die moralische Gesinnung betrifft) verderbt, und der Mensch darum als böse bezeichnet.

Man wird bemerken: daß der Hang zum Bösen hier am Menschen, auch dem besten (den Handlungen nach), aufgestellt wird, welches auch geschehen muß, wenn die Allgemeinheit des Hanges zum Bösen unter Menschen, oder, welches hier dasselbe bedeutet, daß er mit der menschlichen Natur verwebt sei, bewiesen werden soll. 

* Hang ist eigentlich nur die Prädisposition zum Begehren eines Genusses, der, wenn das Subjekt die Erfahrung davon gemacht haben wird, Neigung dazu hervorbringt. So haben alle rohe Menschen einen Hang zu berauschenden Dingen; denn, obgleich viele von ihnen den Rausch gar nicht kennen, und also auch gar keine Begierde zu Dingen haben, die ihn bewirken, so darf man sie solche doch nur einmal versuchen lassen, um eine kaum vertilgbare Begierde dazu bei ihnen hervorzubringen. - Zwischen dem Hange und der Neigung, welche Bekanntschaft mit dem Objekt des Begehrens voraussetzt, ist noch der Instinkt, welcher ein gefühltes Bedürfnis ist, etwas zu tun oder zu genießen, wovon man noch keinen Begriff hat (wie der Kunsttrieb bei Tieren, oder der Trieb zum Geschlecht). Von der Neigung an ist endlich noch eine Stufe des Begehrungsvermögens die Leidenschaft (nicht der Affekt, denn dieser gehört zum Gefühl der Lust und Unlust), welche eine Neigung ist, die die Herrschaft über sich selbst ausschließt.

- Immanuel Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. (1793)


Gefühle, moralische

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