andzeichen
Heute sah ich eine Hand aus einem Fenster des Gefängnisses ragen, in Richtung
des Meeres. Ich ging meiner Gewohnheit entsprechend die äußere Hafenmole entlang
bis hinter die alte Festung. Die Festung ist ringsum eingeschlossen in ihre
schrägen Mauern, die Fenster mit ihren doppelten oder dreifachen Eisengittern
wirken blind. Obwohl ich wußte, daß dort die Sträflinge schmachten, hatte ich
diese Festung stets wie einen Teil der trägen Natur, des Reiches der Steine
empfunden. Daher überraschte mich die Erscheinung der Hand, als käme sie aus
dem Stein. Die Haltung der Hand war unnatürlich; ich nehme an, die Fenster sitzen
hoch in den Zellen und sind tief in das Gemäuer eingelassen; der Häftling muß
einen akrobatischen Akt vollführt haben, geradezu wie ein Schlangenmensch, um
den Arm zwischen den Gitterstäben hindurchzuzwängen und die Hand ins Freie zu
strecken. Es war kein Wink eines Sträflings an mich noch an sonst irgendeinen;
jedenfalls nahm ich's nicht als einen solchen, im Gegenteil, ich dachte in diesem
Moment überhaupt nicht an die Gefangenen; auch muß ich sagen, daß mir die Hand
sehr weiß und zart erschien, ähnlich der meinen; nichts verwies auf die Rauheit,
die man gemeinhin bei einem Sträfling erwartet. Nein, für mich war die Hand
ein Zeichen, das direkt aus dem Stein kam: Der Stein wollte mir bedeuten, daß
wir von gleicher Substanz sind, er und ich, und daß folglich etwas von dem,
woraus ich gemacht bin, fortdauern wird und nicht vergehen muß mit dem Ende
der Welt. - Italo Calvino, Wenn ein Reisender
in einer Winternacht. München 2007 (Zuerst 1979)
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