Handramme  Wir gingen auf eine Stelle zu, an der eine Art Pflastergerät stand, das durch seine Struktur an jene Handrammen erinnerte – hierzulande nennt man sie Demoiselles -, die man zum Straßenbau verwendet. Dem Anschein nach leicht, obgleich ganz aus Metall, hing die Demoiselle an einem kleinen hellgelben Luftballon, der in seinem unteren kreisförmig ausgebauchten Teil an die Silhouette einer Montgolfière denken ließ. Der Boden darunter war auf die seltsamste Weise geschmückt.

   Auf einer ziemlich großen Fläche waren menschliche Zähne so verteilt, dass sie eine Vielzahl von Formen und Farben darboten. Manche, die blendend weiß waren, kontrastierten mit Schneidezähnen von Rauchern in der ganzen Skala vom hellsten bis zum dunkelsten Braun. Auch alle Arten von Gelb fanden sich in dem bizarren Vorrat, vom duftigsten Strohgelb bis zu den schmutzigsten Nuancen von Fahlrot. Blaue Zähne, helle und dunkle, trugen zu dieser reichen Polychromie bei, die durch eine Menge schwarzer Zähne und durch das blasse oder schreiende Rot blutiger Zahnwurzeln vervollständigt wurde.

   Umrisse und Proportionen wiesen unendliche Unterschiede auf – riesige Backenzähne und monströse Eckzähne lagen neben kaum wahrnehmbaren Milchzähnen. Hier und da funkelten metallische Reflexe von Plomben oder Goldkronen.

   An einer Stelle, die die Handramme im Augenblick einnahm, ergaben die eng nebeneinander gruppierten Zähne durch die bloße Verschiedenheit ihrer Farbtönung ein richtiges Bild, das aber noch unvollendet war. Das Ganze stellte einen Kriegsknecht dar, der in einer finsteren Grotte, weich gebettet, am Rand eines unterirdischen Teiches schlummerte. Ein dünner Rauch, der aus dem Hirn des Schläfers aufstieg, zeigte, was er im Traume sah: elf junge Leute krümmten sich vor Entsetzen angesichts einer fast durchsichtigen luftigen Kugel; sie schien das Ziel des machtvollen Aufflugs einer weißen Taube zu sein und zeichnete auf den Erdboden einen leichten Schatten, in dessen Mitte ein toter Vogel lag. Neben dem Kriegsknecht lag zugeklappt ein altes Buch, das von einer im Boden der Grotte steckenden Fackel schwach beleuchtet wurde. - Raymond Roussel, Locus Solus

 

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