amsun
Die ersten und die letzten Sätze seiner Bücher sind
so unvergeßlich. "In den letzten Tagen dachte und dachte
ich an des Nordlandsommers
ewigen Tag" ist ihr Anfang; "und draußen im Süden singen
die wilden Schwäne ihr Lied" ihr Ende. Seine großartigsten
Figuren sind diese aufgeblasenen Ladenschwengel mit ihrem Staat
an Fingerringen und ihrer Pracht von Schleifen an den Schuhen:
"bei uns ist ja ein Umsatz in großem Stil" sagen sie,
und: "wir haben im Sinn, eine Ordre von zwanzig- bis dreißigtausend
Kronen zu geben" und legen dabei ein Paket Gelatine und
einen Meter Fliegengaze Frau Leuchtturmwächter vor. O Sirilund,
Wasser und Feste; Siebenhügelstadt aus Heringstrockenplätzen,
Genesis vom Lofotenmeer: "Kleines und Großes geschieht,
ein Zahn fällt aus, ein Mann
aus den Reihen heraus, ein Sperling auf die Erde herunter."
- Gottfried Benn, ca. 1927
Hamsun (2) DAS HAMSUN, die
schönste der lebenden Echsen,
ein Naturspielwerk. Obwohl von Größe der Alligatoren und scheinbarer
Unbeholfenheit der Glieder, brütend im Zustand versonnener Ruhe,
ist es doch von einer geradezu absurden und unwahrscheinlichen
Behendigkeit. Sehr scheu, wohnt es verschlüpft
im Gefels. Gesehen hat es eigentlich nur ein einziger Forscher,
wie man sagt, und zwar bei Sprengung eines Steinbruchs, wo sich
das Hamsun mitten im Pulverdampf aufrichtete. Daraus entstand
wohl die Mär, es sei im Grunde ein schlichter, biederer Geometer
mit genial gestörten, beinahe weiblichen
Launen. Aber dies dürfte eine Großstadterfindung
sein. Das Hamsun ist nicht einmal durch den Nobelpreis aus seiner
Höhle zu locken. Es leidet etwas an seinem großen Maule, einem
Organ, das bei Amphibien, die in mehreren
Elementen, aber auf jeden Fall im Element leben, immer rachenähnlich
ausgebildet ist. Da das Hamsun nun scheu, bescheiden und demütig
ist, verargt es sich dies wie auch sein großes Maul sehr. Denn
eine Schönheit läßt sich oft nicht verleugnen, und es nimmt oft
den Rachen dagegen voll. - (bl)
HAMSUN (3), der
Sohn eines Landschneiders, war selber einmal Postbeamter gewesen,
aber auch Schuhmacher, Kohlentrimmer, fliegender Händler, Straßenbahnschaffner,
Farmarbeiter, Gerichtsbote, Privatlehrer, Dockarbeiter, Landstreicher.
Er kannte die Welt von unten und in ihren Weiten. Er kannte sie
vor allem von innen. Die belebte Natur, Wald, Erde, Wildnis,
die erhabene Indifferenz und Amoralität der Natur, ihre Zeitlosigkeit,
die alten Geister und Götter, die in den Seelen der Naturmenschen,
der Seeleute und
Bauern spuken, — das war die Welt, die er inmitten der modernen
Zivilisation in seinen Büchern wirklich werden ließ. Er war kein
Christ. Aber er glaubte an Barmherzigkeit
und Segen, an den Segen der Erde, an den Segen einer menschlichen
Begegnung. Er lebte 40 Jahre lang im
19., und 52 Jahre lang im 20. Jahrhundert und war doch auf eine
nordisch-mystische Weise prähistorisch. Vom Ödlandbauem Isak
schrieb er: ‹Ein Wiedererstandener aus der Vorzeit, der in die
Zukunft hinaus deutet, ein Mann aus der ersten Zeit des Ackerbaus,
ein Landnahmemann, 900 Jahre alt, und doch auch wieder ein Mann
des Tages.› Das war er selbst. - (
bov
)