agestolz  Dies ist der stärkste Einwand gegen die Lebensweise des Hagestolz: er nimmt einsam sein Essen.

Einsam zu speisen macht leicht hart und roh. Wer es gewohnt ist, muß spartanisch leben, um nicht zu verkommen. Einsiedler haben, sei‘s nur darum, sich frugal beköstigt. Denn dem Essen wird nur in der Gemeinschaft sein Recht; es will geteilt und ausgeteilt sein, wenn es anschlagen soll. Gleichviel wem: früher bereicherte ein Bettler am Tisch jede Mahlzeit. Aufs Teilen und aufs Geben kommt alles an, nichts auf soziables Gespräch in der Runde.

Erstaunlich ist aber wiederum, daß Geselligkeit kritisch wird ohne Speisen. Bewirtung nivelliert und verbindet. Der Graf von Saint-Germain blieb nüchtern vor vollen Tafeln und schon auf diese Weise Herrscher im Gespräch. Wo aber jeder einzelne leer ausgeht, da kommen die Rivalitäten mit ihrem Streit. - (ben)

Hagestolz (2) Die Ehe erscheint den Naturvölkern so unerläßlich, daß sie eine Person, die sich nicht verehelicht, wie wir bei E. Westermarck (Ursprung und Entwicklung der Moralbegriffe, Bd. II) lesen, für ein unnatürliches Wesen halten und geringschätzen. So wird z.B. bei den Santalen der Hagestolz »von beiden Geschlechtern verachtet, einem Dieb oder einer Hexe gleichgestellt und als ›kein Mann‹ bezeichnet« (E. G. Man, Sonthalia and the Sonthals). Besonders bei den Chinesen, deren Religion im Ahnenkultus gipfelt, gilt das Heiraten für eine heilige Pflicht. Darum werden dort sogar todkranke heiratsfähige Jünglinge noch am Sterbebett verheiratet. - (erot)

Hagestolz (3) Das Unglück des Junggesellen ist für die Umwelt, ob scheinbar oder wirklich, so leicht zu erraten, daß er jedenfalls, wenn er aus Freude am Geheimnis Junggeselle geworden ist, seinen Entschluß verfluchen wird. Er geht zwar umher mit zugeknüpftem Rock, die Hände in den hohen Rocktaschen, die Ellbogen spitz, den Hut tief im Gesicht, ein falsches, schon eingeborenes Lächeln soll den Mund schützen, wie der Zwicker die Augen, die Hosen sind schmäler, als es an magern Beinen schön ist. Aber jeder weiß, wie es um ihn steht, kann ihm aufzählen, was er leidet. Kühle weht ihn aus seinem Innern an, in das er mit der noch traurigen andern Hälfte seines Doppelgesichts hineinschaut. Er übersiedelt förmlich unaufhörlich, aber mit erwartender Gesetzmäßigkeit. Je weiter er von den Lebenden wegrückt, für die er doch, und das ist der ärgste Spott, arbeiten muß wie ein bewußter Sklave, der sein Bewußtsein nicht äußern darf, ein desto kleinerer Raum wird für ihn als genügend befunden. Während die andern, und seien sie ihr Leben lang auf dem Krankenbett gelegen, dennoch vom Tode niedergeschlagen werden müssen, denn wenn sie auch aus eigener Schwäche längst selbst gefallen wären, so halten sie sich doch an ihre liebenden starken gesunden Bluts- und Eheverwandten, er, dieser Junggeselle bescheidet sich aus scheinbar eigenem Willen schon mitten im Leben auf einen immer kleineren Raum, und stirbt er, ist ihm der Sarg gerade recht. - Franz Kafka, Tagebücher (3. Dezember 1912) Frankfurt am Main 1967

Hagestolz (4) Doktor Karafiát, Kommandant des Sokol, Junggeselle und ein fescher Mann wie ich, Zwicker auf der Nase und Freidenker, führte uns vor Jahren zu einer Übung nach Suchdol, auf dem Rückweg mußten wir durch das deutsche Dörfchen Runar. Unterwegs fragte ich den Doktor: Warum haben Sie nicht geheiratet? Er gab mir zur Antwort, ein rechter Mann sei eine Zierde der Natur und durch und durch vornehm, deswegen könne ers auch nicht ausstehen, wenn sich eine Alte mit dem Nachttopf in seinem Zimmer breitmacht, wir gingen also durch das deutsche Dorf und sangen patriotische Lieder, die Leute erwarteten uns schon mit Knütteln, lauter Hirschs und Lorenze und Seidls, kaum hatten wir das Sokol-Lied angestimmt Mit Löwenkraft, im Falkenflug, da flogen die Ungeheuer auch schon auf uns zu, sie zerrten den Doktor Karafiát vom Pferd und prügelten uns, bis wir schielten, der Herr Doktor trug ein blaues Auge und eine geknickte Nase davon, ich besuchte damals seine Sprechstunde wegen meiner Augen ...  -  Bohumil Hrabal, Der Tod des Herrn Baltisberger. In: B. H., Die Bafler. Erzählungen. Frankfurt am Main 1966 (es 180, zuerst 1964)

Hagestolz (5)  Mein Heim, meine Höhle, mein Misthaufen: die Fensterscheiben vor Schmutz fast blind, an der Decke, in allen Ecken Spinnweben, die Spiegel, in denen man sich wie in einem Nebel sieht; die Unordnung: ein kleines Ruhebett, auf dem Papiere, Bücher, Schuhe, Gemüse herumliegen, auf dem Kamin nebeneinander das Paket mit Tabak, der Aschbecher, mein Leuchter, meine Lampe, mein Kaffeefilter, die kleine Fayence-Kasserolle für mein Frühstück - denn ich esse meine Mahlzeiten gleich aus dem Topf, in dem ich sie bereite -, mein Trinkglas, das abgewaschen wird, wenn es mir gerade einfällt, mein so schöner Kleiderschrank, der die reinste Rumpelkammer ist: Arzneiflaschen, Hüte jeder Art, Zwiebackkartons, mein Brot, mein Kaffee, meine Kaffeemühle, mein Zucker, mein Fleisch, meine Schokolade, wenn ich welche habe, Papiere, neue Wäschestücke, Taschentücher und Kragen, und noch alles mögliche andere. Das Interieur eines alten Hagestolzes, der der häuslichen Pflichten überdrüssig geworden und dahin gekommen ist, auf alles in diesem Bereich zu pfeifen. - (leau)

Hagestolz (6)   Ein französischer Marschall d'Huxcelles  auf die Frage, warum er nicht heirate: „Ich fand noch keine Frau, deren Mann, und noch kein Kind, dessen Vater ich sein möchte." - (kjw)

Essen Mann Ehelosigkeit
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