Haferschleim   Slothrop, unerfahren in Schweineheldenfeiern, ist leicht nervös. Aber Fritz ist ein alter Experte und hat vorsorglich einen glasierten Krug mit irgendeinem flüssigen Magentöter mitgebracht, der - es sei denn, dieses Wort bedeutet etwas ganz anderes - aus Haferschleim destilliert sein soll.

«Haferschleim, Fritz?» Er nimmt noch einen Schluck, es tut ihm schon leid, daß er gefragt hat.

«Haferschleim, ja.»

«Tcha, Haferschleim ist besser als Halberschleim, ho, ho ...» Was immer es auch sein mag, es scheint direkt ins Hirn zu gehen. Zum Zeitpunkt, da sich die Wikingerhorde unter ernsthafter Choralbegleitung der lokalen Blaskapelle bis zum Roland hochgekeucht und -gekämpft, Aufstellung genommen und die Übergabe der Stadt gefordert hat, merkt Slothrop, daß sein Kopf nicht mehr mit dem ihm sonst innewohnenden Scharfsinn funktioniert. In welchem Augenblick Fritz sein Streichholz anreißt und die reinste Hölle losbricht, Raketen, Leuchtkugeln, Feuerräder und - PLECCCHHAZUNNGGA! Eine gewaltige Ladung Schwarzpulver pustet ihn ins Freie, verschmort ihm den Arsch und bügelt ihm die Locke aus seinem Schwanz raus. «Oh, äh, ach stimmt, ja ...» Torkelnd und mit breitem Grinsen grölt Slothrop seine Zeile: «Ich bin der Zorn Donars - und heute werdet ihr mein Amboß sein!» Und ab geht die Post, zu einer lärmenden Hetzjagd durch die Gassen, das Gequieke kleiner Kinder, einen Schauer weißer Blüten hinunter zum Strand, wo sich alle anzuspritzen und gegenseitig unterzutauchen beginnen. Die Stadtbewohner packen Bier und Wein, Brote, Quark und Würste aus. Kartoffelpuffer werden goldbraun und tropfendheiß aus dem Öl gehoben, das in schwarzen Stielpfannen über kleinen Torffeuern raucht. Mädchen machen sich an Slothrop heran und streicheln seine Schnauze und seine samtigen Flanken. Die Stadt ist wieder für ein Jahr gerettet.

Ein friedlicher, besoffener Tag, voll von Musik und den Gerüchen nach Salzwasser und Marschland, Blymen, brutzelnden Zwiebeln, verschüttetem Bier, frischem Fisch, darüber kleine, frostfarbene Wolken auf einem blauen Himmel. Die Brise ist frisch genug, um Slothrop in seinem Schweineanzug vor dem Schwitzen zu bewahren. Längs der Küste erstrecken sich nach beiden Seiten blaugrau schimmernde, atmende Wälder. Weiße Segel kreuzen draußen auf dem Meer.

Als Slothrop aus dem braunen Hinterzimmer eines Pfeifenrauch-und-Kohl-Cafés von einer einstündigen Partie Hammer und Amboß mit - Traum jedes Jünglings - ZWEI gesunden jungen Damen in Sommerkleidern und holzbesohlten Schuhen auf die Straße zurückkehrt, muß er feststellen, daß die Menge draußen inzwischen zu Klümpchen von dreien oder vieren zu gerinnen beginnt. Ach Scheiße, doch nicht jetzt, laßt das doch ... Mit einem mulmigen Gefühl im Hintern, Kopf und Magen gebläht von Haferschleim und Sommerbier, setzt sich Slothrop auf einen Haufen Netze und versucht, sich schlecht und recht zur Wachsamkeit zu zwingen.  - Thomas Pynchon, Die Enden der Parabel. Reinbek bei Hamburg 1981


Nahrungsmittel Hafer



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