Daar, schwarzes    Auf einmal bemerkte der Doktor, der an der Spitze ging, vor seinem Gesicht ein dickes, schwarzes, senkrecht herabhängendes Haar, gleichsam einen starken, glänzenden Faden oder lackierten, dünnen Draht. Schon wollte er ihn mit der Hand beiseite schieben. Da sie aber bisher noch nichts Ähnliches gefunden hatten, hob er instinktiv den Blick und blieb wie angewurzelt stehen. Etwas Blaßperlgraues, das knollig über den zusammengewachsenen Stengeln am Ansatz eines der »Kokons« hing, starrte ihn an. Er fühlte den Blick, bevor er entdeckte, wo sich die Augen dieses mißgestalteten Geschöpfes befanden. Er konnte weder Kopf noch Beine erkennen, er sah nur eine sackartig aufgeblähte, von innen gleichsam mit blasigen Kröpfen ausgestopfte Haut, die schwach glänzte. Aus einem dunklen, länglichen Trichter ragte das dicke schwarze Haar hervor, das wohl zwei Meter lang war. »Was ist da?« fragte der Ingenieur, der gerade an ihn herantrat. Der Doktor antwortete nicht. Der Ingenieur blickte hinauf und stutzte ebenfalls.

»Womit mag das wohl sehen?« fragte er unwillkürlich und wich einen Schritt zurück, angeekelt von diesem Wesen, das sich mit einem gierigen, äußerst konzentrierten Blick in ihn hineinzusaugen schien, obwohl er weder sehen noch erraten konnte, wo es seine Augen hatte.

»Einfach widerlich!« rief der Chemiker aus. Sie standen jetzt alle hinter dem Ingenieur und dem Doktor, der ebenfalls einen Schritt von dem herabhängenden Gebilde zurücktrat. Die anderen machten ihm Platz, soweit es die elastischen Stengel zuließen. Er holte aus der Tasche seiner Kombination den brünierten Zylinder hervor, zielte gelassen auf den blasigen Körper, der heller als seine pflanzliche Umgebung war, und drückte ab. Im Bruchteil einer Sekunde geschah sehr viel auf einmal. Zuerst überraschte sie ein Aufblitzen. Es war so heftig, daß es sie blendete, den Doktor ausgenommen, der in diesem Augenblick gerade geblinzelt hatte, und das Blitzen währte nur so lange, wie er die Lider geschlossen hielt. Der dünne Strahl flog noch, da bogen sich die Stengel bereits, raschelten, ein Ballen schwarzen Dampfes umgab sie, das Wesen stürzte und klatschte schwammig und schwer auf den Boden. Etwa eine Sekunde lang lag es reglos da, wie ein grauer Ballon voller Klümpchen, aus dem die Luft entweicht. Nur das schwarze Haar wand sich und tanzte wie rasend über ihm, peitschte mit blitzartigem Zucken die Luft. Dann verschwand das Haar, und über das schwammige Moos begannen die unförmigen, bläschenartigen Glieder dieses Geschöpfes mit Schneckenbewegungen nach allen Seiten zu kriechen. Bevor sich einer der Männer regen konnte, war die Flucht oder vielmehr das Auseinanderlaufen beendet. Die letzten Teilchen des Gebildes, klein wie Raupen, bohrten sich in den Boden - der Platz vor den Männern war leer. Nur m der Nase brannte ihnen noch der unerträglich süßliche Gestank.

»War das eine Kolonie?« Der Chemiker hob die Hand und rieb sich die Augen.

Die anderen blinzelten.  Sie waren geblendet und sahen noch schwarze Flecken.

»E pluribus unum«, entgegnete der Doktor, »oder vielmehr ex uno plures. Ich weiß nicht, ob das gutes Latein ist, aber das ist eben wohl solch ein mehrzahliges Geschöpf, das sich im Notfall teilen kann.«

»Stinkt entsetzlich«, sagte der Physiker. »Gehen wir weiter.«   - Stanislaw Lem, Eden. Roman einer außerirdischen Zivilisation. München 1974

Haar Schwarz

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