utherzigkeit  Es währte fast sechs Stunden, bevor es uns gelang, wieder flott zu werden. Während dieser Zeit trieb der starke Wind ein Boot vom Lande herbei, worinn sich zwei Bauerknechte, aber ohne Ruder, befanden. Statt derselben waren sie mit ein paar Stangen versehen, womit sie ihr Fahrzeug, so gut es angehen wollte, zu steuern versuchten, um bei uns an Bord zu gelangen. In der That stießen sie auch so unvorsichtig und heftig gegen unser Schiff an, daß wir fürchteten, ihr Fahrzeug würde davon in Stücken gehen; so wie es denn auch wirklich sehr beschädigt wurde. Indeß mochten sie immer noch von Glück sagen, daß wir ihr Boot festhielten und sie dadurch verhinderten, an unserm Schiffe vorbei in die hohe See zu treiben.

Erst, als wir sie an Bord genommen hatten, wurden wir gewahr, daß sie sich in ihrem besten Sonntags-Staat befanden und mit einem gewaltigen Blumenstrauß vor der Brust im Knopfloch prangten; — ich hätte nemlich schon früher  bemerken sollen, daß es eben an einem Sonntags-Vormittage war. Auf unser neugieriges Woher? und Wohin? nannten sie uns ihr nicht weit entlegenes Wohn-Dorf und berichteten, sie seyen so eben auf dem Wege über Feld nach der Kirche begriffen gewesen, als sie unser Schiff auf dem Grunde sitzend erblickt hätten; und da sich zufällig in ihrer Nähe ein leeres Boot am Strande vorgefunden, so wären sie in Gottes Namen hineingestiegen, um zu sehen, ob und wie sie uns damit einige Hülfe leisten könnten. Da es jedoch in dem Fahrzeuge an Rudern gefehlt, mit denen sie ohnehin nicht umzugehen wüßten, so hätten sie gemeynt, sich mit den vorräthigen Stangen wohl nothdürftig fortzuhelfen.

War das ächt-pommersch brav und gutherzig gemeynt, so muß man doch daneben gestehen, daß es auch herzlich dumm berathen und ausgeführt war. Denn hatten sie nicht das Glück, vom Winde gerade gegen unser Schiff getrieben zu werden, so kamen sie immer weiter landabwärts, waren ohne Barmherzigkeit verloren, und kein Mensch hätte auch nur einmal gewußt, wo sie hingestoben wären. Sie sahen endlich selbst ein, daß sie einen einfältigen Streich unternommen; und da wir indeß auch vom Grunde glücklich wieder abgekommen waren, so banden wir ihr Boot an unserm Schiffe fest und nahmen sie mit uns nach Swinemünde, wo es ihnen denn überlassen bleiben mochte, wie sie wieder ihren Heimweg finden wollten. - Aus: Lebensbeschreibung des Seefahrers, Patrioten und Sklavenhändlers Joachim Nettelbeck, von ihm selbst aufgezeichnet. Nördlingen 1987 (Die Andere Bibliothek 35, zuerst 1825)

Gutherzigkeit (2)  Der junge Prinz nahm den Geldsack seines Vaters und machte sich auf den Weg. Auf seiner Wanderung kam er an einem Friedhof vorbei, auf dem er eine Räuberbande beobachtete, die einen ausgegrabenen Toten umringte. Der Prinz erkundigte sich befremdet, was sie da trieben, und sie antworteten ihm, sie wollten aus dem Leichenfett Talg zum Schmieren von Kutschenrädern und aus den Knochen Flöten herstellen. Flöten wie Talg würden sie dann für einen stattlichen Preis auf dem Markt verkaufen.

Als der Prinz dies hörte, war er so entsetzt, daß er ihnen all sein Geld anbot, wenn sie den Toten nur wieder begrüben, damit er in Frieden ruhen könne. Auf der Stelle nahmen die Räuber den Handel an, ließen von dem Toten ab und machten sich mit dem Geld davon.

Da stand der Tote auf einmal auf, als wäre er lebendig, und dankte dem Prinzen für das, was er getan hatte. Er bot ihm seine Begleitung an, denn er wollte ihn von nun an vor allen Gefahren retten, die ihm drohten. Allerdings — fügte er hinzu — müßten sie bei jedem Handel, den sie unterwegs eingingen, redlich teilen. Der gutherzige Prinz willigte ein.

Sie machten sich also auf den Weg und gelangten bald in eine große Stadt, in der ein gewaltiger Trubel herrschte. Sie erkundigten sich nach der Ursache, und man erzählte ihnen, daß ein großes Fest im Gange sei, weil sich die Königstochter verheirate.

Da sprach der Tote zum Prinzen:

»Statt ihren Bräutigam zu heiraten, der schon in Richtung Kirche zieht, wird sich die Prinzessin mit dir vermählen. Aber auch bei diesem Handel müssen wir redlich teilen.«

Sie gingen zur Kirche, und siehe da, als das Königspaar und die Prinzessin, der Hofstaat und die jubelnden Untertanen bereits vor der Kirche versammelt waren, bekam der Bräutigam einen Herzanfall und fiel tot um. Die Prinzessin, die Eltern und Verwandten weinten bitterlich angesichts dieses traurigen Schicksals. Da trat der Prinz auf Geheiß des Toten zu ihnen, um sie zu trösten. Als sie diesen stattlichen jungen Mann sahen, der sie so gutherzig ansprach, bot ihm der Vater der Braut sogleich an, wenn er seine Tochter zur Frau wolle, könne er sich mit ihr vermählen. Der Prinz, der sich auf den ersten Blick in die Prinzessin verliebt hatte, schlug sofort ein. Geschwind traten sie in die Kirche und wurden getraut. Und freudig versammelten sich alle im Anschluß zum Hochzeitsbankett.

Als es an der Zeit war, zu Bett zu gehen, rief der Tote dem Prinzen ihre Verabredung in Erinnerung, alles redlich zu teilen, und meinte, nun sei er an der Reihe, mit der Prinzessin zu schlafen, und nicht der Prinz. Das wollte dem Prinzen nun gar nicht behagen, aber abgemacht war abgemacht, und er fügte sich darein.

Um Mitternacht erklang ein grauenerregendes Heulen, das aus dem Bauch der Prinzessin drang, und mit einem Schlag tat sich ihr Bauch auf, und heraus schoß eine Schlange mit sieben Köpfen und sieben Schwänzen. Da nahm der Tote einen Degen, hieb die sieben Köpfe und die sieben Schwänze ab, und die Schlange verschwand unter wütendem Gebrüll wieder im Bauch der Prinzessin. - Spanische Hunger- und  Zaubermärchen.  Hg. José Maria Guelbenzu.  Frankfurt am Main  2000  (Die Andere Bibliothek 183)

Gutherzigkeit (3)  Man muß sich nicht vorstellen, daß die Indianer von Tahiti eben durch Noth und Mangel genöthigt werden, so unabläßig zu arbeiten: denn wo wir nur hinkamen, versammlete sich gemeiniglich bald ein großer Haufen um uns her und folgte uns den ganzen Tag über, zum Theil so unermüdet nach, daß mancher das Mittagbrod darüber versäumte. Doch giengen sie nicht so ganz ohne Neben-Absicht mit. Im Ganzen war ihr Betragen allemal gutherzig, freundschaftlich und dienstfertig; aber sie paßten auch jede Gelegenheit ab, eine oder die andre Kleinigkeit zu entwenden und damit wußten sie ausnehmend gut Bescheid. Wenn wir sie freundlich ansahen oder ihnen zulächelten, so hielten manche es für die rechte Zeit, von unserm guten Willen Gebrauch zu machen und in einem bittenden Ton ein: Tayo, poe! hören zu lassen Das bedeutete so viel als: Freund! ein Coralchen! Wir mogten ihnen hierinn willfahren oder nicht, so brachte es niemals eine Ändrung in ihrem Betragen hervor, sondern sie blieben so aufgeräumt und freundlich als zuvor. Wenn sie mit diesem Anliegen zu häufig kamen, so zogen wir sie auf und wiederholten ihre kindische Betteley im nemlichen Tone, worüber denn unter dem ganzen Haufen immer ein lautes Gelächter entstand.  - (for)
 
Herz
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Verwandte Begriffe
Dummheit
Synonyme
Herzensgüte