rübeln  Wenn ich wieder in demselben Wohnzimmer hin und her ging und mein Blick auf einen harmlosen Stuhl fiel, hielt ich mich dann nicht eine Weile damit auf, über die Art seines Daseins zu sinnieren? Und Kraepelin, übrigens aufs Geratewohl aufgeklappt wie eine Bibel: «Bisweilen sind es auch irgendwelche Gegenstände der zufalligen Umgebung, auf die der Blick gerade fällt, welche den Anknüpfungspunkt für die Zwangsfragen abgeben: Warum steht dieser Stuhl so und nicht so? Warum nennt man ihn gerade Stuhl? Warum hat er vier Beine, nicht mehr, nicht weniger? Warum ist er braun, warum nicht höher, nicht niedriger?» Und rannte ich nicht in die Küche und fuhr die Magd an: Gestern gab es zuviel Fleisch zum Abendessen; merken Sie sich, daß ich höchstens hundert Gramm Fleisch essen darf und kein Gramm mehr! - «Andere wägen auf das genaueste ihre Speisen ab.» Hatte ich mir nicht vorgestellt, meinen Vater, während er las, mit dem Messer abzustechen, das er benutzte, um die Seiten aufzuschneiden? - «So stellt sich dem Kranken die Frage: Was würde passieren, wenn du mit diesem Messer einen Menschen umbrächtest, vielleicht deinen Sohn?» Und weiter in der Art, die Zitate würden überhandnehmen. Doch hier, wie er sich im allgemeinen über meine Person ausließ: «Andere Kranke können äußerlich ganz gleichmäßig erscheinen und offenbaren ihre unglückliche Gemütsverfassung, ihre Selbstquälereien nur ihren nächsten Verwandten oder dem Arzte; sie sind bei äußerer Anregung vielleicht heiter, hinreißend liebenswürdig und selbst übermütig, um sich dann, sich selbst überlassen, mit einer gewissen Befriedigung wieder in das Elend ihres Lebens hineinzugrübeln.

Jede Aufgabe steht, vor ihnen wie ein Berg; das Leben, die Tätigkeit (aber welche?) ist eine Last, die sie mit pflichtschuldiger Selbstverleugnung gewohnheitsmäßig tragen, ohne durch die Lust am Dasein, die Freude am Schaffen entschädigt zu werden. Die Kranken haben kein Vertrauen zu ihrer eigenen Kraft, sie verzweifeln bei jeder Aufgabe und werden ungemein leicht ängstlich und verzagt, fühlen sich unnütz auf der Welt, zu allem untauglich, nervös, krank, fürchten den Ausbruch eines schweren Leidens, insbesondere einer Geistesstörung (fürchten sie!), einer Hirnerkrankung.» Beziehungsweise, fügte er noch hinzu, geben sie sich einer totalen Misanthropie hin. Oder auch «sie verzichten immer mehr auf eine seriöse Betätigung, lassen, schlapp und willenlos, den Dingen ihren Lauf». Und nachdem er schließlich mit Scharfsinnigkeit bemerkt hatte, daß einige von diesen Kranken auch auf irgendeine Weise kunstbegabt sein können, stellte er fest: «In der Schule werden bisweilen an ihre Begabung große Erwartungen geknüpft, die sie dann wegen ihrer Flüchtigkeit und Unzuverlässigkeit nicht erfüllen. Es sind jene Kinder, von denen man annimmt, daß sie weit Besseres leisten könnten, wenn sie nur wollten; leider (und er grinste) können sie nicht wollen.» - (land2)

Grübeln (2)  In jenen Tagen grübelte er viel, und die schlechte Angewohnheit, eine jede Sache lange hin und her zu wenden, wurde ihm zur Last, war aber unvermeidlich. Die Angelegenheit Nummer Eins hatte er von allen Seiten betrachtet, und daß er durch die Schuld der Maga und Rocamadours so beengt leben mußte, brachte ihn dazu, mit wachsender Heftigkeit den Scheideweg zu analysieren, auf welchen er sich gestellt glaubte. In Fällen wie diesen griff Oliveira nach einem Blatt Papier und schrieb die großen Wörter auf, die sein Grübeln beförderten. So notierte er zum Beispiel: »Die Hangelegenheit Nummer Heins« oder »Hunvermeidlichkeit«. Das reichte aus, um ein Gelächter anzustimmen und einen Mate mit mehr Lust aufzusetzen. »Die Heinigkeit« schrieb Holiveira. »Das Hego und der Handere.« Er benützte den Buchstaben H wie andere das Penicillin. Danach konnte er mit mehr Ruhe die Angelegenheit wieder aufnehmen, er fühlte sich besser. »Hoberstes Gebot, sich nicht haufblähen«, sagte sich Holiveira.  - (ray)
 

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