reifschwanz   "Hahlo, ich bin Candy Darlinz."

"Ich bin der wiedergekehrte Ismael", war, wozu ich bei meinem Versuch zu antworten ansetzte. Nach dem dritten Versuch kam es schon besser heraus.

"Ihre Grundimplantation wurde gestern abgeschlossen, endlich. Alle halten Sie für einen Erfolg. Ihr Körper ist Klasse. Sie sind im Norbert-Wiener-Hospital in Houston. Sie verfügen über zwei vom Erbschaftsgericht bestätigte Erbschaften. Ihr Freund Peter Strawson hat sich um Ihre Angelegenheiten gekümmert. Wir sind in der ersten Aprilwoche des Jahres 2112. Sie sind am Leben."

Sie stand auf und berührte leicht meine Hand.

"Morgen fangen Sie mit der Therapie an. Jetzt schlafen Sie."

Zu dem Zeitpunkt, als sie die Tür hinter sich schloß, war ich schon dabei, in Schlaf zu fallen. Ich schaffte es nicht einmal mehr, mich über das, was mir auffiel, aufzuregen. Meine Brustwarzen fühlten sich so groß an wie Weinbeeren. Während ich mich am Nabel vorbei nach unten vortastete, schlief ich ein.

Am nächsten Tag entdeckte ich, daß ich nicht nur einen Penis verloren hatte. Ich hatte auch einen Greifschwanz dazugewonnen. Es war Haß auf den ersten Sinneseindruck hin.

Ich hatte mich in langsamen Etappen zum Bewußtsein hinaufgearbeitet. Ich hatte endlose Fluchtträume - ich ging, rannte, stolperte weg vor irgendeinem namenlosen Schrecken. Und kurze, blitzartige sexuelle Sensationen, die Aktivitäten meines (früheren) Körpers zum Inhalt hatten.

Ich hatte meinen alten Körper wirklich gern gemocht, was, wie Dr. Germaine Means mir schon bald versichern sollte, eines meiner größten Probleme war. Ich hatte mich deutlich vor Augen, wie ich in den Spiegeln ausgesehen hatte, während ich meine Dehn- und Kraftübungen machte. Eine Spur größer als 1,93. Knapp dreiundneunzig Kilo schwer, gut ausgebildete Muskeln und gerade genug Fett, um sich wohl zu fühlen. Auf der Brust eine Matratze von Kräuselhaar, die mir den Entschluß zur dauerhaften Beseitigung der Barthaare leichtmachte. Ich fühlte mich wohl als ein von Selbstvertrauen erfüllter und auch ein bißchen unbeholfener Riese, der auf eine Welt von kleinen Leuten herabsah.

Ich war nicht etwa ein Bodybuilder oder etwas dergleichen. Nur eben genug Training, um gut auszusehen - und attraktiv zu sein. Sportlich war ich tatsächlich gar nicht so schrecklich gut. Aber ich hatte meinen Körper gemocht. Er war mir auch eine Hilfe bei der Public-Relations-Arbeit, die ich für die IBO machte.

Ich lag noch immer auf dem Rücken. Ich fühlte mich geschrumpft. Zusammengeschrumpft. Während die warme, dösige Schlaftrunkenheit sich verlor, tastete ich mit der rechten Hand über meine Rippen. Rippen. Sie waren dünn und standen vor, als wäre die Haut auf den nackten Brustkasten lackiert. Ich fühlte mich wie ein Skelett, bis ich zu den Knollen kam. Beutel, Gewächse, Säcke. Während sie meinem vorherrschenden Gefühl nach so riesig waren wie Cantaloupe-Melonen, nahm ein Teil von mir doch zugleich wahr, daß sie für eine Frau keineswegs groß waren.

Man kennt die Phantasie vielleicht aus einer Art erotischem Traum. Man liegt im Krankenhausbett. Man faßt hin, und da sind sie. Griffig, die hart werdenden Warzen zwischen Zeige- und Mittelfinger geschmiegt. (Ohne Zweifel haben manche Männer diese lustvolle Phantasie mit den Händen auf wirklichem Fleisch erlebt. Die Frauen haben vielleicht eher ein Kneifen und Jucken statt der erträumten Lustempfindung gespürt. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich weiß jetzt, daß ein Großteil der Sexualität so aussieht. Vielleicht ist es nur Unwissenheit, was die Heterosexualität so kräftig am Leben erhält: Beide Geschlechtspartner sind frei, Gefühle des anderen nach Belieben zu erfinden.)

Ich war aber ganz außerstande, für meine Neuerwerbungen erotische Empfindungen aufzubringen. Und zwar in beiderlei Richtung. Meine Finger, die sie betasteten, betasteten Pathologisches. Zwei tote krebsgeschwulstige Grabhügel. Und von innen - wenn ich so sagen darf - hatte ich die Empfindung, mein Fleisch sei geschwollen. Das Bettuch ließ die Brustwarzen sich wund anfühlen. Ein seltsames Gefühl der Loslösung, als ob die Brüste abgetrennte, wabblige Gelatine wären - und dann ein paar Zentimeter vor meiner Brust zwei Empfindungsspitzen. Tote Stellen. Abstoßung. Darüber erfuhr ich eine Menge.

Auf den Hüftschwung war ich, als meine Hand weiter hinunterglitt, vorbereitet. Einen Penis konnte ich nicht fühlen und erwartete auch keinen zu finden. Ich nannte es nicht "Spalte". Obwohl dieser Ausdruck gelegentlich im Slang der Weltraumschiffer vorkommt und sehr häufig von der kleinen Gruppe männlicher Homosexueller des extremen S&M-Typs (Sklave & Meister) verwendet wird. Zum ersten Mal lernte ich den Ausdruck ein paar Tage später von Dr. Means kennen. Sie sagte, die übliche Vbn-Mann-zu-Mann-Pornographie verrate typische männliche Wahnvorstellungen über den weiblichen Körper. Sie sei eine "ergiebige Informationsquelle bezüglich krankhafter Körpervorstellungen". Sie hatte zweifellos recht, wenn sie mir klarmachte, daß der Ausdruck "Spalte" wiedergab, wie ich darüber dachte. Zuerst.

Ich war nicht nur knochig. Ich war auch fast unbehaart. Ich fühlte mich wirklich nackt, nackt und wehrlos wie ein Baby. Wenngleich meine Haut einige Schattierungen weniger hell war - und ich an einer Narbe vorbeikam. Ich empfand fast Erleichterung, das Kräuselhaar in der Leistengegend zu fühlen. Weg. Beine wie Stöcke. Aber ich spürte tatsächlich etwas zwischen meinen Oberschenkeln. Und meinen Knien. Und meinen Knöcheln, beim Sol.

Zuerst dachte ich, es handele sich um eine Art Schlauch zur Aufnahme meiner Körperausscheidungen. Aber als ich zwischen meinen Beinen nachfühlte, konnte ich feststellen, daß es jene Gebiete nicht bedeckte. Es war am Ende meines Rückgrats angebracht - oder vielmehr, es war das Ende meines Rückgrats geworden und reichte bis hinunter zu meinen Füßen. Es war mein Fleisch und Blut. Es geschah nicht eigentlich mit Absicht - ich kann nicht sagen, daß ich zu diesem Zeitpunkt überhaupt etwas beabsichtigte, so erschüttert war ich -, aber das verfluchte Ding schnellte wie eine Schlange vom Fußende des Betts hoch und warf mir die Decke übers Gesicht.

Ich schrie wie am Spieß.

"Schneiden Sie es ab", war alles, was ich sagte, als ich genug Betaorthoamine intus hatte, um nicht mehr wild um mich zu schlagen. Das sagte ich mehrmals hintereinander zu Dr. Germaine Means, die die anderen aus dem Zimmer bugsiert hatte.

"Hören Sie, Sally - ich nenne Sie so, bis Sie sich selbst einen Namen ausgesucht haben -, wir werden Ihren Schwanz nicht abschneiden. Nach unseren Berechnungen würde ein solcher Schritt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur endgültigen Abstoßung führen. Sie würden sterben. Mehrere tausend Nerven verbinden Ihr Gehirn mit Ihrem Greifschwanz. Ein beträchtlicher Teil Ihres Gehirns überwacht und steuert Ihren Schwanz - dieser Teil Ihres Gehirns muß, wie die anderen Teile auch, trainiert und eingegliedert werden. Wir haben Ihr Geistmuster in Ihr jetziges Gehirn eingespielt. Die beiden müssen lernen, miteinander auszukommen, oder es kommt zur Abstoßung. Kurz gesagt, Sie sterben."  - Justin Leiber, nach: Einsicht ins Ich. Fantasien und Reflexionen über Selbst und Seele.  Hg. Douglas R. Hofstadter und Daniel C. Dennett.  München 1992

 

Schwanz

 

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