Graphiker  Ich denke jetzt an Vladimir und seine Arbeitsgänge, wie er an die erste Phase seines Schaffens herantrat, an die reinen, fleckenlosen Duralumin- oder Kupferplatten, für ihn war es immer ein feierlicher Augenblick, wenn er völlig abgeklärt, in der Nullsituation seiner selbst, auf der Matrize den ersten Schlag anbrachte, den ersten Strich mit der Kaltnadel zog, den ersten Ritz mit dem Meißel, mit der Feile. Wer ihn arbeiten sah, kann bezeugen, wie sehr sich seine graphischen Arbeitsgänge verlangsamten, zuweilen überlegte und erwog er lange, um dann einen Satz Schläge und Linienzüge auf einmal herunterzurasseln, worauf er wieder langsamer wurde und mit einem Blick auf die ganze Platte die Fläche mit den Materialien und Werkzeugen, die er zur Hand hatte, auslegte, denn eine ganze Reihe seiner aktiven Graphikmatrizen machte Vladimir nach der Arbeit, in seiner Werkstatt, wo ihm nicht nur Schnittreste und Späne und Abfälle, sondern auch sämtliche Werkzeuge zur Verfügung standen, die er meisterhaft zu handhaben wußte, da er Dreher und Werkzeugmacher in einer Person war. Ohne mit den Augen zu zwinkern, musterte er die metallene Fläche, auf die er wie ein Seismograph, wie eine Nadel, die ein Kardiogramm schreibt, seine gegenwärtige Situation übertrug, in der er sich noch nie befunden hatte, um so an die Matrize ein Maximum seiner schöpferischen und schaffend-spielerischen Potenz weiterzugeben, um alles in die Matrize zu legen, was in seinem Gehirn zu Sahne geworden war. Und er lauschte, ob seine Hände ihm gehorchten, ob sie imstande waren, die imperativen Weisungen des Sehenden und Wissenden auszuführen, Vladimir sprach gern von der humanen Abstraktion und Kosmogenität seiner Arbeitsgänge, die er sichtbar machen wollte, so wie Jackson Pollock bestrebt war, durch Farbtropfeln die Energy made visible einzufangen. Hatte Vladimir eine seiner Matrizen fertiggestellt, war er zu Tode erschöpft und zugleich entzückt. Er verstaute die Matrize im Schrank, um über Nacht, um ein paar Tage lang Kraft zu schöpfen, so daß er, wenn er die Matrize hervorholte, nicht nur sein eigener erster Betrachter, sondern auch sein Kritiker war, der sah, ob er sich selbst mit dieser neuen Matrize ein Stück nach vorn bewegt hatte, ob die Matrize dem entsprach, was er gewollt hatte, und schließlich: ob die Matrize auf ihn auch lyrisch und ästhetisch wirkte. In einem Brief, den eine Graphik schmückt, schreibt Vladimir, daß er vor Beginn seines Schaffens oft wie auf dem Jahrmarkt vor einem Stapel Blechbüchsen gestanden habe und mit dem Ball nur die Büchse habe treffen wollen, auf die er es abgesehen hatte, daß jedoch oft alle Blechbüchsen herunterfielen, ohne daß er die erwischte, die er ins Auge gefaßt, die er hatte treffen wollen.    - Bohumil Hrabal, Ein Dandy im Schlosseranzug. In: B. H., Leben ohne Smoking. Frankfurt am Main 1993
 
 

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