Gott, falscher   Ein riesiges Ohr ragt aus dem Boden wie ein Kaktus und verstellt mir den Weg. Ich empfinde eine Art verdutzter Erleichterung, denn genau dieses - daß ich dem Ohr begegnen würde - hatte mir der Scharlatan vorausgesagt.

Ich weiß, daß die Begegnung mit dem Großen Ohr eine der Prüfungen ist, die mich erwarten, und deshalb ist es zwecklos, meine Flucht um jeden Preis fortzusetzen. Ich hocke mich also hin und mache mich bereit zuzuhören.

Das Ohr bewegt sich unruhig hin und her - ich kann seinen inneren Flaum erkennen - und beginnt mit einer etwas hohlen Stimme, aber durchaus höflich zu deklamieren.

»Sie sind, mein Herr, doch sicher ein Flüchtling?«

»Ich bin ein Flüchtling«, bestätige ich.

»Das freut mich. Sie sind vor dem falschen Gott geflohen, weil Sie vermutlich gemerkt haben, daß dieser Gott durch und durch falsch ist, nicht wahr? Aber jetzt sind Sie an einen Ort gekommen, wo man die sublimsten Gaben des Geistes pflegt und die Einigung des Lebenden mit dem Kosmos anstrebt. Ist das nicht eine schöne Sache?«

»Es ist gewiß eine einmalige Sache. Doch habe ich von diesem Ort aus nicht die geringste Vorstellung vom Kosmos; ich hatte nicht einmal angenommen, daß es außer diesem dunstigen und vermutlich engen Ort noch einen anderen Kosmos gibt. Und was den Ausdruck >Lebende< betrifft, mit dem Sie die Bewohner des Druntoben bezeichnen, so stellt er mich vor manches Rätsel.«

»Ich verstehe. Wir haben hier eine hochgradig symbolische Sprache, welche die exquisite Sprache des Geistes äst. Aber glauben Sie nur nicht, daß symbolisch dasselbe bedeutet wie prätextuös. Sie wissen nicht, was der Kosmos ist; Sie mißtrauen dem "Wort >Lebende<. Wie gut ich Sie verstehe. Die tückischen Machenschaften des falschen Gottes haben eine unangenehm perplexe Situation geschaffen. In "Wirklichkeit erlaubt uns nur der Glaube an unsere Eigenschaft als Hohes Ohr, auf diese beiden Wörter zu setzen. Falls Sie nach einem harmonischen Einklang suchen, einer concinnitas universa, dann kann ich Sie vielleicht befriedigen. Versuchen Sie's.«

»Ich nehme an, Sie sind ein Gott? Vielleicht ein weniger falscher?«

»Ich würde mich etwas nuancierter ausdrücken: mir eignet etwas Numinoses. Eine subtile und nicht unedle Eigenschaft. Ich wunderwerkele, ich prophezeiele und ich träumele herum, und meine Träumelelen deutele ich. Ich lese ein wenig die Händelchen und spiele mit den Würfelchen. Bin ich nun weniger falsch? Oder bin ich wahrer? Oder einfach wahr? Ich bin nicht von Engeln umringt, sondern von Pilzen - sehen Sie sie?«

Ich gewahre Büschel von Pilzen ringsumher. Sie tuscheln miteinander in friedlicher und inniger Zweideutigkeit. Ich habe das Gefühl, in ein delikates und obszönes Etablissement geraten zu sein. Ich berühre einen Pilz, der zu lachen anfängt, als wäre meine Berührung eine ungemein geistreiche oder galante Geste.

»Berühren Sie meine Pilze nicht, ich bitte Sie, mein Herr -sie verlieben sich so leicht. Ich könnte Ihnen herzzerreißende und sehr edle Geschichten erzählen. Meine Pilze sind wahrhaft vornehm. Sie haben eine Seele. Im übrigen hat hier herum alles eine Seele. Finden Sie nicht, daß das wichtig ist?«

Ich betrachte das Ohr aufmerksam, nicht ohne ein gewisses Unbehagen, wie es mir die Unterhaltung mit einem offenkundig falschen Gott einflößen kann und im allgemeinen auch einflößt.

»Mein Herr oder meine Dame«, sage ich, »ich muß Ihnen gestehen, daß die Unterhaltung mit Ihnen mir ein peinliches Gefühl der Frustration vermittelt. Ich habe den Eindruck, daß Sie kein wahrer, sondern ein mißlungener falscher Gott sind. Auch wenn ich dem Gott, von dem Sie mir versichern, daß er falsch sei, den Rücken gekehrt habe, und auch wenn ich seinen Behauptungen notgedrungen mißtrauen muß, so bin ich doch sicher, daß es eines seiner größten Anliegen war, die göttliche Falschheit zu erringen.«

»Nehmen wir einmal an, daß Sie recht hätten«, hebt das pelzige Ohr milde wieder an, »wäre das dann nicht ein sicheres Zeichen dafür, daß ich an einer gewissen Menge von Wahrem leide, und daß mit dem Maßstab der hiesigen Werte gemessen das am wenigsten Falsche gegenüber dem Wahren bestimmt als falsch erschiene, aber als wahr gegenüber dem Falschen? Im übrigen habe ich nie gesagt, daß ich anstrebe, ein falscher Gott zu sein - auch ich habe meine Bescheidenheit!«   - (hoelle)

 

Götter Falsch

 

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