Gott, blinder   Tajuba blieb auf seinem Pferd und ließ sie machen. Sie zogen den Pater nackt aus, schnitten ihm ein Ohr ab, spien auf sein Kruzifix. Dann warfen sie ihn auf das Gesicht und ließen ihn liegen. Der schwere Regen flutete nieder.

Aber Mendoza, nackt am Flußufer unter den Leichen seiner Leute, war nicht tot. Er kam am Nachmittag zu sich. Lange dauerte es, bis er sich aufrichten konnte, schreckliche Schmerzen zerrissen ihn. Die Pfeilenden steckten in seinem Körper. Er fühlte: dies war sein Ende. Durch den Jammer seines Leidens hindurch fand er den Gedanken an Gott. Es lebte der Ewige, Wissende, Sehende im Himmel. Er tastete in der Nässe um sich, suchte sein Kruzifix. Er fand es nicht. Da kroch er auf allen vieren unter unsäglicher Qual auf der schlammigen Erde herum und suchte sein Kreuz. Und als er es nicht fand, zog er sich vom Flusse weg. Er wollte ein Kreuz in der Hand haben, mit dem Kreuz in der Hand sterben. Er erreichte das Gebüsch. Das kalte Wasser troff über seinen nackten Körper, er spähte um sich, die Tannen hatten Äste abgeworfen, kleine bröcklige Stücke lagen herum, er scharrte und faßte ein paar festere, seine Finger klammerten sie zusammen, nun war es ein Kreuz, es war gut, eine Beruhigung drängte sich durch seine Qual. Und es gab Gott, und es gab Worte, die zu ihm trugen, und welche, die ihn mit den fernen Brüdern in den Reduktionen verbanden. Die schwere Nacht kam. Und als die schwarze, grenzenlose Nacht vorbei war, fanden ihn die Indianer Tajubas, die seine Spur vom Ufer her verfolgt hatten, am Rand des Busches. Seine weiße Haut machte ihn sichtbar. Er hörte ihre Stimmen. Er konnte, starr vor Kälte und schwach, seinen Kopf nicht heben, sie umstanden ihn und sahen, ohne zu erschrecken, daß er die Augen geöffnet hatte und noch lebte. Sie waren alle betrunken, Tajuba war bei ihnen, sie hatten eine Art Siegesfest gefeiert. Tajuba höhnte, seine Leute lachten: «Da liegst du in dem Busch, wir haben dich gesehen, dein Gott hat dich nicht gesehen. Du dienst einem blinden Gott. Er kann dich nicht finden.»

«Schandbuben!» lallte Mendoza, er suchte seine Beine anzuziehen und seinen Kopf anzuheben, um zu sehen, ob noch das Kreuz in seiner rechten Hand war, denn er fühlte den Arm nicht.

Da stieß ihm senkrecht von oben Tajuba seine Lanze in den Mund. Die andern schwangen ihre Beile und metzelten ihn wie ein Rind. Sie rissen ihm das Herz heraus und liefen damit aus dem Gebüsch ins Helle. Sie durchbohrten es am Wasser mit einem Pfeil, sie wollten sehen, wie sein Geist es mache, um den Weg zum Himmel zu finden.    - Alfred Döblin, Amazonas. Romantrilogie. München 1991 (entst. 1935-37)

 

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