Goldfischglasmann  Der Goldfischglasmann ist eine sensationelle Nummer.

Zuerst stellt man zwei Tische hin, den einen voller Biergläser und einem großen Goldfischglas; den anderen mit einer Gummibadewanne wie für das Kindlein des Hauses.

Die Musik rollt ihm einen musikalischen Teppich aus, damit er herauskommen und eine glänzende Runde drehen kann - und es erscheint Mac-Norton, der Mann, der sich selbst den großartigen Titel »Aquarium-Mann« gibt, wo er doch eigentlich nur der Goldfischglas-Mann ist. Was wir an ihm zuerst sehen, ist der Bauch, der uns ziemlich übertrieben scheint. Der Mann gleicht einem französischen Schauspieler, einem windigen und vergnüglichen Bänkelsänger.

Sollte das derselbe Mann sein, den Colette Willy vor Jahren auf einem Bahnhof getroffen und der ebenfalls Fische heruntergeschluckt hat? Vermutlich. Man muß wissen, daß er damals zu Colette gesagt hat: »Die Röntgenaufnahme hat gezeigt, daß ich einen Magensack habe, und mein Magen nach meinem Tod von der Pariser medizinischen Fakultät gekauft werden wird, und ich kann alles essen, was ich will, so schwer verdaulich es auch sei, aber es darf nur eine einzige Mahlzeit am Tag sein.«

Mac-Norton trank zuerst alle zwanzig Glas Bier auf das Wohl des Publikums. Ein schönes Kompliment, wirklich sinnvoll und gesund für alle! Danach trank er die Hälfte des Wassers aus dem großen Goldfischglas. Alles hastig und ohne Luft zu holen. Als handle es sich um eine Wette. (Welche Wetten mag er in Hotels und Cafés mit denen abschließen, die nicht wissen, wer er ist, und es für unmöglich halten, was er aus Prahlerei vorschlägt!)

Es gibt einen Augenblick, da meint man, er würde Selbstmord begehen, indem er sich von innen nach außen ertränkt anstatt von außen nach innen oder als wolle er sich mit Wasser vergiften.

Nachdem er das Wasser und das Bier getrunken hat, läßt er einen Strahl aus dem Mund fließen, als wäre er ein Selters-Siphon, wobei er schließlich an seinem Ohr dreht, als würde er so den Wasserstrahl oder den Hahn des Siphons abdrehen. Wenn man ihn sieht, denkt man, er könnte einen brauchbaren Gartensprenger abgeben oder Brände löschen oder als »Feuerlösch-Hausmeister« in einem Museum stehen.

- Die Art, die Herr Norton hat, sich auf Reisen die Hände zu waschen -, sagt der Cirkusdirektor, wobei er mit Bindestrichen und Pausen andeutet, was er meint, als würde er diktieren.

Herr Norton gießt ein wenig Wasser aus der Gummibadewanne über seine Hände, läßt die Seife schäumen bis zur großen Schaum-Arie; am Ende spült er alles ab mit einem gewaltigen Wasserstrahl. Nachdem er sich mit einem Handtuch abgetrocknet hat, öffnet er den Topf mit den Fischen und den Fröschen und gießt ihn in das Goldfischglas. Sogleich nimmt das Wasser diese Trübe an, wie wir sie von den Goldfischgläsern kennen. Wie in einem gefüllten Goldfischglas sieht man jetzt die lebhaften Zick-Zack-Bewegungen seiner Bewohner.

Mit einer Kelle wie für die Fischsuppe holt Herr Norton die ersten Fische und Frösche heraus, wie einer, der nach den besten Stücken angelt, und ohne sie zu schmecken, schluckt er sie mit einem Schlag herunter, doch sie hören nicht auf, ihre Runden zu drehen.

- Aber -, möchte man ihm zurufen, - entfernen Sie nicht vorher die Gräten?

Einige entwischen ihm wie ein Stück Seife aus den Händen, und da man sie vom Boden aufgehoben unmöglich schmutziger herunterschlucken könnte, taucht er sie ein wenig in das Wasser, das ihnen gehört, und schluckt sie dann herunter.

»Nun hat uns das Krokodil verschluckt«, denken die Fische, wenn sie Nortons doppelte Zahnreihen passieren; aber sogleich entdecken sie Nortons inneres Goldfischglas und fangen an, sich zu amüsieren, manchmal finden sie eine Brotkrume vom Frühstück, die schon ein paar Tage alt ist, und manchmal trinken sie von den Magensäften des großen Goldfischglas-Mannes.

Die Unterhaltung der Frösche und der Fische da drinnen muß kurios sein. Übrigens, da sie sich nun auf irgendeine Weise innerhalb der menschlichen Seele befinden, nehmen sie Intelligenz an, lassen sich vom Gedankenstrom ihres Gastgebers imprägnieren, und wenn sie herauskommen, werden sie klug und wie seine eigenen Kinder sein. Und da sie in dieser Nacht nicht zum ersten Mal diese Erfahrung machen, sind sie schon ein gutes Stück weiter und kennen die Geheimnisse der Seele ihres Herrn und verstehen die Ironie, von der er so viel hat.

Alle diese Witze, die Mac-Norton auf Französisch erzählen wird, kennen sie schon, und so lächeln sie vor sich hin.

Immer mehr Fische holt er mit seiner Kelle heraus und schlingt sie in aller Ruhe herunter, wobei er zu ihnen sagt: »Mit Gott!«, wie man denen nachruft, die man unter die Erde bringt.

Durch den Bauchnabel wie durch das Bullauge eines Schiffes schauen die Frösche nach draußen und hören das Gelächter des Cirkus.

Manchmal kitzeln sie ihn, damit er bald Schluß macht. Norton raucht eine Zigarette und schwatzt noch eine Weile. Wir möchten ihm von unserem Sitzplatz aus zurufen: »Ihnen wird schwindlig werden!« Aber vielleicht schluckt er den Rauch herunter, um das Kribbeln in seinem Bauch dadurch zu besänftigen, daß er die Unruhestifter betäubt.

Wir können es kaum noch erwarten, die verschwundenen Tiere, von denen wir befürchten, daß er sie bereits verdaut, wieder auftauchen zu sehen.

Er zeigt keine Eile. Die Frösche spielen auf dem Grund der Finsternis Fangen und Verstecken. Die Fische sind verwirrt. (Wer Würmer hat, geht es dem nicht auch so?)

Und er holt sie wieder heraus, wobei er den Fröschen mit einer Eleganz die Hand reicht, mit der man den Damen zur Zeit Ludwigs XV. aus den Kutschen half.

Die Fische kommen wie Schlangen heraus, deren Zug immer wieder unterbrochen wird, weshalb man über diesen Mann vulgärerweise sagen könnte, daß er »Kröten und Schlangen aus dem Munde speit«.

In dieser Stunde der Auferstehung scheint die Zahl der Fische und Frösche zugenommen zu haben. Einmal aber geschah es, daß er einen Frosch vergessen hatte, und als er in der Nacht allein in seinem Schlafzimmer war, begann dieser in seinem Magen zu quaken, sehr tief drinnen, sehr weit unten, und er mußte ihn mit einer Schnur und einem Fetzen roten Tuchs an der Spitze herausangeln, wie man das sonst an den grünen Teichen tut.

Das ist der ganze Auftritt von Mac-Norton, einem Mann, der ohne Applaus abgeht, aber wegen dem alle Welt in den Cirkus strömt. Ein außergewöhnlicher Artist, der den Groll menschlicher Heuchelei auf sich zieht, den theoretischen Ekel der dekolletierten Damen, die sich den Mund zuhalten, und den Herren im Frack, die empfindlicher als die Damen ihre höflichen Einwände geltend machen.  - (cirkus)

 

Goldfischglas Cirkus-Nummer

 

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