ötterbuben  Dies sich Anklammern an die Jugend war nicht etwa Mangel an Fähigkeit oder gutem Willen, die Dinge ernst zu nehmen. Aus dem tändelnden Jüngling wurde sogar, wenn er arbeitete, ein gelehrter Pedant, als welcher er ja auch in der Erinnerung der späteren Geschlechter fortlebte, die für die »übermütigen Götterbuben«, wie Wieland die Brüder Schlegel nannte, kein Verständnis mehr hatten. Jetzt immer noch kennt man ihn hauptsächlich als den gründlichen Forscher, den unermüdlichen Übersetzer, der von sich selbst sagte: »Im Stehn, im Gehn, im Wachen und im Bette, auf Reisen selbst, wie unterm Schutz der Laren, stets dichtend.« Diese eigentümliche Mischung von Anmut, Oberflächlichkeit und Pedanterie beruht auf dem Mangel an Gewicht. Es fehlte ihm an Masse, an dem unbewußten Kern, der die Grundlage des Menschen bildet. Alles läßt sich daraus erklären; in seinen Beziehungen zu den Frauen die Unfähigkeit, große, stetige Leidenschaften zu erregen und zu empfinden. Er suchte und fand viel Neigung der Frauen, liebenswürdig, wie er war, mit dem feuchten Schimmer, der seine glänzenden braunen Augen so anziehend machen konnte; aber nur gaukelndes Schmetterlingsglück, alle Lieblichkeit eines spielenden Jünglingslebens war ihm beschieden, niemals das satte, stolze Genügen einer kraftvollen Natur. Von der einzigen Frau, für die er ein echtes, ernstes Gefühl hatte, soweit er das haben konnte, von Karoline muß man wohl sagen, daß sie ihn niemals wahrhaft geliebt hat. In seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahre schrieb ihm sein jüngerer Bruder warnend: »Ich wünschte nicht, daß Du die Zeit Deiner Jugend und das Jugendliche in Deiner Liebe als Dein ganzes Leben ansähest... Warum wolltest Du das Ende der jugendlichen Liebe als das Ende Deiner Herrlichkeit des Lebens überall betrachten? Sie sollte eigentlich nur den Enthusiasmus in Deiner Seele stark und vollkommen gemacht haben, dessen Gegenstand alsdann im männlichen Alter der Wille und die Gedanken Deines eigenen besseren Selbst sein könnte.« - »Das kannst Du, wenn Du willst«, fuhr Friedrich fort; aber der unglückliche Narcissus, der sein besseres Selbst über dem zitternden Spiegelbild der unsteten Wellen, in das er verliebt war, vergaß, hätte das nicht einmal wollen können. Wenn er nicht der junge, blonde, mutwillige Schwärmer sein konnte, wollte er nicht leben. Er war ganz ohne Größe und darum ohne Fähigkeit, das Große ganz zu erkennen, zu lieben, zu wollen. Das ist der Kern all der zarten und liebevollen Ermahnungen, die Friedrich an ihn richtete: wenn er ihn vor Zerstreuung warnt, die der Tod aller Größe sei. - Größe sei nur mit Konzentration aller Kräfte verbunden möglich; wenn er ihn bittet, er möchte sich die Begeisterung nicht schwinden lassen; wenn er fürchtet, es möchte eine gewisse unzufriedene Kälte bei ihm herrschend werden. Wilhelms »uralter Haß gegen die Vernunft« bildete einen beständigen Streitpunkt zwischen den Brüdern, »seine Idiosynkrasie gegen die Vernunft, das Denken«, die es ihm unmöglich machte, wie Friedrich sagte, das Große, z. B. in Schillers Person, zu verstehen. Unter Vernunft begriff nämlich Friedrich das Vermögen der Ideale; er nannte sie einen Grundtrieb, den nach dem Ewigen. Wenn nun auch Wilhelm dichtete:

»Ich wollte dieses Leben
Durch ein unendlich Streben
Zur Ewigkeit erhöhen «,

so besagt das nichts andres, als daß er geschmackvoll und klug genug war, um zu wissen, was man tun und sein müsse. Grundtriebe aber besaß er gar nicht, das war eben das Ein und Alles, was ihm fehlte. Auch die peinliche, stets verletzte Eitelkeit, zu der er verdammt war, hatte in diesem Mangel ihren Grund. Es ist eigentümlich, wie alle eiteln Menschen den Eindruck einer großen inneren Leere erwecken. In dem dunkeln Gefühl, keinen nährenden Kern im Innern zu haben, hungert es sie beständig nach andern Menschen, an denen sie zehren können. Sie gehören nicht zu den guten Menschen, von denen Salomon in den Sprüchen sagt, daß sie von sich selber gesättigt werden. Eitelkeit ersetzt das Selbstbewußtsein; sie ist wie ein Korsett oder Geradehalter, der einem das Ansehen eines aufrechten, starken Menschen geben soll, eine Art Autosuggestion: wenn der Schwache sich nicht überschätzte, würde er aus Mangel an Selbstvertrauen zusammenbrechen. Diejenige Selbstliebe, die Friedrich meinte, wenn er schrieb: »Wer sich selbst liebt, der ist auf dem Wege, etwas Großes zu werden«, die fehlte Wilhelm. Er war wie ein Schiff ohne Ballast, nur auf einem kleinen, ruhigen Gewässer zu spielen gemacht. - Ricarda Huch, Die Romantik. Blütezeit, Ausbreitung und Verfall. Tübingen 1951 (zuerst 1899)

Götterbuben (2) In ihrer Jugendzeit lebten die Knaben in einer Gemeinschaft nahezu hemmungsloser Neugier und Wißbegier all dessen, was ihre geschlechtlichen Triebe befriedigen konnte. Sie bildeten eine zucht- und zügellos geile Schar ohne jede Scham und bar jedweder heiligen Scheu, gleich jungen bäurischen Göttern, deren ausgelassenes Herumtollen nicht von der Sorge um das hart und mühselig erarbeitete tägliche Brot beeinträchtigt wird. Es war eine Vereinigung, die nichts als Lust und Vergnügen zum Ziel hatte und wo jeder sein Teil beitrug: einen sinnreichen Einfall, eine Zote, eine Beobachtung, die er im Familienkreis gemacht hatte. Nach der Schule versammelten sie sich regelmäßig und urinierten in trautem Verein, sie nahmen sich mit einem Grashalm das Maß ihrer Zipfelchen, oder wenn sie zwischen zwei Hecken ein Mädchen erwischten, zwangen sie es, seine Blöße zu zeigen. Das bot Gelegenheit und Anlaß zu allerlei hämischen Glossen und höhnischen Bemerkungen, die sich in schmutzigen Ausdrücken Luft machten. Die Mädchen mischten sich in solche Auseinandersetzungen nicht ein und, wenn sie nicht gerade selbst als Opfer dieser Schaustellungen herhalten mußten, wohnten sie immer in ziemlicher Entfernung den Kundgebungen bei, die Grund und Anlaß dieser Kontroversen waren. Ein vorreifes Gefühl für ihre religiösen Pflichten wog ihre neugierigen Gelüste auf.   - Marcel Aymé, Die grüne Stute. Reinbek bei Hamburg 1964 (rororo 402, zuerst 1932)

Götterbuben (3)  Als Loki das Wort ergreift, wird es still im Saal. Denn er weiß von einer Trollfrau zu berichten, mit der er sich den ganzen Frühling über herumgetrieben hat. Drei Kinder hat sie ihm geboren. »Das erste Kind ist ein Wolf«, erzählt er, »das zweite eine Schlange, und das dritte ein Mädchen. Sie ist weiß auf der rechten und blauschwarz auf der linken Seite.«   - Tor Åge Bringsværd, Die wilden Götter. Dt. Bearb. Tanaquil u. Hans Magnus Enzensberger. Zeichnungen von Johannes Grützke. Frankfurt am Main 2001
 
Götterkind
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