lücksrad  Wie einer, der am Reck die Riesenwelle schlägt, so schlägt man selber als Junge das Glücksrad, aus dem dann früher oder später das große Los fällt. Denn einzig, was wir schon mit fünfzehn wußten oder übten, macht eines Tages unsere Attrativa aus. Und darum läßt sich eines nie wieder gutmachen: versäumt zu haben, seinen Eltern fortzulaufen. Aus achtundvierzig Stunden Preisgegebenheit in diesen Jahren schießt wie in einer Lauge der Kristall des Lebensglücks zusammen. - (ben)

Glücksrad (2)  Im Bau des Glücksrades verbergen sich weit bedeutendere Verhältnisse als das von Gewinn und Verlust, und die tiefe Leidenschaft, die sein Lauf im Herzen des Spielers erregt, beruht darauf, daß es zugleich als ein vollkommenes Modell des Weltganges arbeitet. So faßt der Mensch seit jeher, wenn er sein Los in den Sternen erblickt, den Kosmos als kreisendes Glücksrad auf, und das Horoskop, das der Astrologe uns aufzeichnet, stellt nichts anderes als den Symbolkreis dar, auf den unsere Lebensstunde als Index eingetragen ist.

Wenn wir den Vorgang betrachten, rührt uns ein Schauer an, wie ihn das Spiel des Schicksals erweckt. Wir sehen den bunten, ruhenden Zeichenkreis in seiner unveränderlichen Einteilung, und über ihm, gleich einem Nebelringe, den leeren Kreislauf der Zeit. Und doch birgt diese schwingende Scheibe Raum für alle, die jemals waren, sein werden oder auf ewig im Schoße des Ungeboren-Seins verharren. Sie alle sind Mitspieler; daher ist die Geburt an sich, gleichviel wie ihre Konstellation, bereits ein Treffer unter Millionen, und mit Recht stellt sich der Mensch, sei es im Glück, sei es im Unglück, zuweilen die seltsame Frage: »Warum gerade ich?« - (ej2)

Glücksrad (3)  Zwölf Landsknechte kamen aus dem Ditmarser Krieg und hatten wenig vor sich gebracht. Da sie nun traurig und kleinmütig im Land umherstrichen und heut nicht wußten, was sie morgen zu beißen hatten, begegnete ihnen ein Grauröcklein, tat seinen Gruß und fragte: »Woher des Wegs und wohin?« Sie aber sagten: »Daher aus dem Krieg und dahin, wo wir reich werden sollen, können aber den Ort nicht finden.« Das Grauröcklein sagte: »Die Kunst soll euch offenbar werden, wenn ihr mir folgen wollt, begehr auch nichts dafür zu haben.« Die Landsknechte meinten: was es denn wäre? »Man heißt es das Glücksrad, das steht mir zu Gebot, und wen ich darauf bringe, der lernt wahrsagen den Leuten und graben den Schatz aus der Erde; doch nicht anders vermag ich euch darauf zu setzen als mit dem Beding, daß ich Macht und Gewalt habe, einen aus eurem Haufen mit mir wegzuführen.«

Sie begehrten nun zu wissen, welchen von ihnen er zu nehmen willens sei. Der Graurock antwortete: »Zu welchem ich Lust trage, das wird sich hernach zeigen, voraus weiß ich‘s nicht.« Drauf nahmen die Landsknechte eine lange Überlegung, sollten sie‘s tun oder aber lassen, schlossen endlich:

»Sterben muß der Mensch doch einmal; wie nun, so wir in Ditmarsen gefallen wären in der Schlacht oder die Pest uns weggerafft hätte; wir wollen dies wagen, was viel leichter ist und nur einen einzigen trifft. Ergaben sich also miteinander in des Mannes Hand mit dem Beding, daß er sie aufs Glücksrad brächte und dafür zum Lohn einen aus ihnen hinhätte, den, der ihm dazu gefiele.

Nach diesem so führte sie der Graurock hin an die Stelle, wo sein Rad stund, das war so groß, daß wie sie alle darauf kamen, jeglicher drei Klaftern weit ab vom andern saß; eins aber verbot er ihnen: daß ja keiner den andern ansähe, solange sie auf dem Rad säßen; wer das nicht tue, dem bräche er den Hals. Als sie nun ordnungsmäßig aufgesessen, packte der Meister das Rad mit den Klauen, die er beides an Händen und Füßen hatte, und hub zu drehen an, bis es umgedreht war, zwölf Stunden nacheinander und alle Stunden einmal.

Ihnen aber deuchte, als ob unter ihnen helles Wasser sei, gleich einem Spiegel, worin sie alles sehen konnten, was sie vorhatten, Gutes oder Böses, und wen sie von Leuten da sahen, erkannten sie und wußten ihre Namen zu nennen. Über ihnen aber war es wie Feuer, und glühende Zapfen hingen herab.

Wie sie nun zwölf Stunden ausgehalten hatten, rückte der Glücksmeister einen feinen jungen Menschen vom Rade, der eines Bürgermeisters Sohn aus Meißen war, und führte ihn mitten durch die Feuerflamme mit sich hin. Die elf andern wußten nicht, wie ihnen geschehen, und sanken betäubt nieder in tiefen Schlaf, und als sie etliche Stunden lang unter freiem Himmel gelegen, wachten sie auf, aber ihre Kleider auf dem Leibe und ihre Hemden, die waren ganz mürbe geworden und zerfielen beim Angreifen, von der großen Hitze wegen, die auf dem Rad gewesen war.

Darauf erhoben sie sich und gingen jeder seines Weges, in der Hoffnung, ihr Lebtag alles genug und eitel Glück zu haben...   - (sag)

Glücksrad (4)

- Bernard Montorgueil

Glücksrad (5)  -Seele?" könnte unser Faust erwidert haben. »Und wenn ich nun keine Seele hätte?«

Aber vielleicht machte sich Mephisto um einer einzigen Seele willen gar nicht die Mühe. »Mit dem Golde wirst du eine Stadt bauen«, sprach er zu Faust. »Die Seele der ganzen Stadt will ich dafür haben.« »Das Geschäft ist gemacht.«

Und da konnte der Teufel sehr wohl mit einem Feixen verschwinden, das sich wie ein Geheul anhörte: als alter Bewohner von Glockentürmen und daran gewohnt, auf einer Regentraufe hockend, über die Weite der Dächer zu schauen, wußte er, daß die Städte leibhaftigere und dauerhaftere Seelen haben als alle Einwohner zusammen.

Jetzt war noch Das Glücksrad zu interpretieren, eines der kompliziertesten Bilder des ganzen Tarockspiels. Es konnte ganz einfach bedeuten, daß sich das Glück auf Faustens Seite gedreht hatte, aber dies schien eine zu einfache Erklärung in Anbetracht der stets elliptischen, andeutenden Erzählungsweise des Alchemisten. Hingegen durfte mit Fug angenommen werden, daß unser Doktor, nachdem er sich des teuflischen Geheimnisses bemächtigt, ein maßloses Projekt konzipiert hatte: alles Wandelbare in Gold zu verwandeln. Dann wäre das Rad des zehnten Arkanums im Wortsinn das in Gang befindliche Räderwerk der Großen Goldmühle, der gigantische Mechanismus, der die Metropole zur Gänze aus Edelmetall errichtet hätte; und die menschlichen Gestalten verschiedenen Alters, die man das Rad antreiben oder sich mit ihm drehen sah, sie bedeuteten die Menschenmengen, die herbeigelaufen kamen, an dem Projekt mitzuarbeiten, die ihre Lebensjahre dazu verwendeten, das Räderwerk Tag und Nacht in Gang zu halten. Diese Deutung berücksichtigte zwar nicht alle Details der Miniatur (wie etwa die Tierohren und Schwänze, mit denen einige der kreisenden menschlichen Wesen geschmückt waren), doch bildete sie einen Ausgangspunkt, um die folgenden Pokal- und Münzenkarten als Reich des Überflusses zu erkennen, in dem die Einwohner der Goldenen Stadt schwammen. (Die aneinandergereihten gelben Scheiben wiesen vielleicht auf gleißende Kuppeln goldener Wolkenkratzer, die die Straßen der Metropole säumten.)

Doch wann würde der vereinbarte Preis von dem Vertragspartner mit dem Pferdefuß eingefordert werden? Schon lagen die beiden Schlußkarten der Geschichte auf dem Tisch, vom ersten Erzähler ausgelegt: die Schwert-Zwei und Die Mäßigkeit. An den Toren der Gold-Stadt hielten bewaffnete Wächter einen jeden zurück, der hineinwollte, um solcherart dem pferdefüßigen Steuereintreiber den Zutritt zu verwehren, in welcher Gestalt auch immer er sich zeigen würde. Selbst wenn ein so einfaches Mädchen herankam, wie auf der letzten Karte, riefen ihr die Wachen ein »Halt!« zu.

»Es ist unnötig, daß ihr eure Tore verschließt«, konnte man sich die Erwiderung der Wasserträgerin erwarten, »denn ich werde mich wohl hüten, eine Stadt zu betreten, die ganz aus festgefügtem Metall ist. Wir Bewohner des Flüssigen besuchen nur Elemente, die fließen und sich vermengen.«

War sie eine Wassernymphe ? Eine Königin der Luftelfen? Ein Engel des flüssigen Feuers im Mittelpunkt der Erde ?

(Beim Glücksrad, wenn man genau hinsah, waren die tierischen Metamorphosen vielleicht nur der erste Schritt  einer Rückentwicklung des Menschlichen zum Pflanzlichen und Mineralischen.) »Hast du Angst, daß unsere Seelen dem Teufel in die Handfallen ?«, so hätten wohl die von der Stadt gefragt. »Nein; daß ihr keine Seele habt, die ihr ihm geben konntet."   - Italo Calvino, Das Schloß, darin sich Schicksale kreuzen. München 1987

 

Glück Rad

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