lücksbringer Vor
dem kleinen Hoffenster hängt ein Spinnweb, eine dicke Kreuzspinne
sitzt darin. Frau Dubonnet läßt sie nicht wegfangen: Spinnen bringen Glück,
und sie hatte gerade genug Unglück in ihrem Hause. Da sah ich, wie eine andere,
viel kleinere Spinne vorsichtig um das Netz herumlief, ein Männchen. Behutsam
ging es ein wenig auf dem schwankenden Faden der Mitte zu, aber sowie das Weibchen
sich nur rührte, zog es sich schleunigst zurück. Lief an ein anderes Ende und
versuchte von neuem sich zu nähern. Endlich schien das starke Weibchen in der
Mitte seinen Werbungen Gehör zu schenken, es rührte sich nicht mehr. Das Männchen
zupfte erst leise, dann stärker an einem Faden, so daß das ganze Netz zitterte;
aber seine Angebetete blieb ruhig. Da kam es schnell, aber unendlich vorsichtig
näher heran. Das Weibchen empfing es still und ließ sich ruhig, ganz hingebend,
seine zärtliche Umarmung gefallen; unbeweglich hingen sie beide minutenlang
mitten in dem großen Netz. Dann sah ich, wie das Männchen langsam sich löste,
ein Bein ums andere; es war, als wolle es sich still zurückziehen und die Gefährtin
allein lassen in dem Liebestraum. Plötzlich ließ es ganz los, und lief, so schnell
es nur konnte, hinaus aus dem Netz. Aber in demselben Augenblicke kam ein wildes
Leben in das Weibchen, rasch jagte es nach. Das schwache Männchen ließ sich
an einem Faden herab, gleich machte die Geliebte das Kunststück nach. Beide
fielen auf das Fensterbrett, mit dem Aufgebot all seiner Kräfte suchte das Männchen
zu entkommen. Zu spät, schon faßte es mit starkem Griff die Gefährtin und trug
es wieder hinauf in das Netz, gerade in die Mitte. Und dieser selbe Platz, der
eben als Bett gedient hatte für wollustige Begierde, sah nun ein ander Bild.
Vergeblich zappelte der Liebhaber, streckte immer wieder die schwachen Beinchen
aus, suchte sich zu entwinden aus dieser wilden Umarmung: die Geliebte gab ihn
nicht mehr frei. In wenigen Minuten spann sie ihn ein, daß er kein Glied mehr
rühren konnte. Dann schlug sie die scharfen Zangen in seinen Leib und sog in
vollen Zügen das junge Blut des Geliebten. Ich sah noch, wie sie endlich das
jämmerliche, unkenntliche Klümpchen — Beinchen, Haut und Fäden — loslöste und
verächtlich hinauswarf aus dem Netz. -
Hanns Heinz Ewers, Die Spinne. In: H. H. E., Die Spinne. München und Berlin
1974
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