Gliederfüßer  Eines Tages kam die Mutter mit konsternierter Miene aus der Stadt zurück. »Schau, Jozef«, sagte sie, »was für ein Zufall. Ich habe ihn auf der Stiege erwischt, wie er von Stufe zu Stufe sprang.« Und sie hob das Taschentuch von etwas, das sie auf einem Teller hielt. Ich erkannte ihn sofort. Die Ähnlichkeit war nicht zu verkennen, obwohl er jetzt ein Krebs oder ein großer Skorpion war. Wir bestätigten uns dies mit den Augen, zutiefst verwundert über die auffallende Ähnlichkeit, die sich trotz der Veränderungen und Metamorphosen noch immer mit unwahrscheinlicher Kraft aufdrängte. »Lebt er?« fragte ich. »Versteht sich, kaum daß ich ihn festzuhalten vermag«, sagte die Mutter. »Soll ich ihn auf den Fußboden lassen?« Sie stellte den Teller auf den Boden, und — über ihn gebeugt — betrachteten wir ihn jetzt genauer. Zwischen seinen vielen bügeiförmigen Beinen zusammengesunken, bewegte er diese unmerklich. Die etwas gehobenen Scheren und Fühler schienen zu lauschen. Ich neigte die Schüssel, und der Vater kroch vorsichtig und mit einer gewissen Unentschlossenheit auf den Fußboden heraus, doch als er den ebenen Boden unter sich verspürte, begann er plötzlich mit allen seinen zahlreichen Beinen zu laufen, wobei er wie ein richtiger Gliederfüßler mit seinen harten Schalen klapperte. Ich vertrat ihm den Weg. Er zögerte, nachdem er mit seinen wogenden Fühlern das Hindernis abgetastet hatte, um dann die Scheren zu heben und seitlich auszubrechen. Wir ließen den Vater in die gewählte Richtung laufen. Auf dieser Seite konnte ihm kein Möbelstück Zuflucht gewähren. Während er so in welligen Zuckungen auf seinen zahlreichen Beinen dahinlief, stieß er an die Wand — und ehe wir uns dessen versehen hatten, kletterte er mit der ganzen Armatur seines Geläufs, ohne sich aufzuhalten, leicht und behende die Wand hinauf. Ich schüttelte mich in instinktivem Abscheu, während ich diese vielgliedrige Wanderung verfolgte, die sich raschelnd auf den Papiertapeten abspielte. Der Vater war indes zu einem kleinen eingemauerten Küchensdiränkchen gelangt, beugte sich einen Augenblick über dessen Rand, erforschte mit seinen Scheren das Terrain im Schränkchen und kletterte ganz hinein.  - Bruno Schulz, Die letzte Flucht des Vaters. In: B. S., Die Zimtläden und alle anderen Erzählungen. München 1966
 
 

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