leichmut    Im Vergleich zu den meisten Menschen werde ich von wenigen Dingen berührt, oder besser gesagt, gepackt: denn es ist richtig, daß sie uns berühren, vorausgesetzt, daß sie nicht von uns Besitz ergreifen. Ich trage große Sorge, dieses Vorrecht des Gleichmuts, das schon von Natur bei mir recht weit geht, mit Bedacht und Erwägung weiter zu fördern. Ich nehme wenige Dinge zu Herzen, und darum erregen mich wenige. Mein Blick ist klar, aber ich hefte ihn auf wenige Gegenstände; mein Sinn zart und empfindsam. Doch von Begriff bin ich langsam und schwerhörig: ich setze mich nicht leicht ein. So sehr ich kann, befasse ich mich ganz mit mir; und doch, selbst hierin möchte ich gern meine Neigung zügeln und zurückhalten, daß sie sich nicht gar zu völlig an mich hängt; denn auch in bezug auf mich selbst bin ich von fremder Willkür abhängig und hat das Glück mehr Gewalt als ich. Dergestalt, daß es mir not täte, selbst noch die Gesundheit, die ich so hoch schätze, nicht so unbändig zu erwünschen und an ihr zu hängen, daß ich darob die Krankheiten unerträglich finde. Man muß zwischen dem Haß gegen den Schmerz und der Liebe zur Lust maßhalten; und Plato weist dem Leben einen mittleren Weg zwischen beiden an.

Jenen Neigungen aber, die mich von mir ablenken und an Fremdes binden, denen wahrlich widersetze ich mich mit aller Kraft. Meine Meinung ist, daß man andern sich leihen und nur sich selber sich hingeben soll.  - (mon)

Gleichmut (2) Er ruhte in sich. Niemand konnte ihm etwas anhaben, kein Ereignis ihn verändern. Er war ohne Aberglauben. Gott war ihm nicht begegnet. In die Hölle spie er sowieso. Es gab kein Erschrecken in ihm. Der Wind war ein Wind. Und der Fjord ein Loch voll Wasser. Und wenn die Berge polterten, dann war es Geröll oder Schnee oder ein Erdbeben. Oder eine Kuh, die abstürzte. Ertrank jemand, dann war er mausetot, ungegerbtes Fell oder so etwas. Und der Gleichmütige hätte ganz gerne zugesehen, wie die Fische den anderen fräßen.

Über das eigene Gesicht hatte er keine Gewalt. Es war außer ihm. Es war ohne Teilnahme. Furchterregend durch den unbegründeten Mangel an Schönheit und Häßlichkeit gleichermaßen. Einmal erschien es mir, als ob es zusammengestaucht sei, der Mund war tief geschnitten und verbreitert, zwei Faltenrinnen standen an der Stirn. Die Ohrmuscheln glichen selbständigen Wesen, listig und bleich. Er grinste. Aber am Hotelgitter ergoß sich ihm der Inhalt seines Magens aus dem Munde. Er hatte Brennsprit oder Dünnbier mit Koksstaub getrunken. Ihn kümmerte der Verfall nicht. Am wenigsten sein eigener. Er konnte nicht dafür, daß die Jahre der Menschheit zu Tausenden umherlagen. Ihm kamen keine Zweifel an der Stichhaltigkeit seiner Lebensauffassung. Seine Zukunft war rund, und in seinen Knochen würde noch Musik sein, wenn sie in die Grube hinabpolterten. Da er keinen Aberglauben besaß, gab er sich nicht mit den Sternen ab und nicht mit den Trollen in der Erde. Er las nicht eine Zeile Gedrucktes. Er ging nicht in die Kirche. Er hörte niemand bis ans Ende an. Er kannte keine Reue. Er fand an sich nichts zu verbessern. - (jah)

Gleichmut (3)  Eugen hörte Diana zu, für die so gut wie alles eine amüsante Sache war, zumindest die Männer betreffend. Obwohl zum Beispiel ihr Leben mit Rudi, der mit seinem eleganten Wagen über Land fuhr und »Transitweiß« vertrieb (ein Schutzbelag für Stahl und Eisen), nicht immer gemütlich gewesen war; jedenfalls nahm Eugen dies an. Trotzdem erzählte sie von ihren Reisen mit dem Rudi, als ob sie dabei lediglich Kurioses erlebt hätte, auch wenn sie auf dem Klo bewußtlos geworden war und Rudi sie mit blutverschmiertem Gesicht von dort wieder ins Bett gezogen (sie sagte: geschleift) hatte. Dies berichtete sie im selben gleichmütigen Tonfall wie die Geschichte mit dem Hummer, den Rudi in Kopenhagen geschenkt bekommen hatte und der ihm im dritten Stock durchs Hotel-Treppenhaus bis tief hinunter in die ›Times‹ gefallen war, die die englische Königin-Mutter im Foyer gelesen hatte.  - Hermann Lenz, Herbstlicht. Frankfurt am Main 2000

Gleichmut (4)  In der Nacht nagte eine Maus ein Loch in den Korb, in welchem einer Schlange Leib zusammengepreßt war, die schon alle Hoffnung aufgegeben hatte und deren Sinne infolge des Hungers erschlafft waren, und fiel dadurch dieser Schlange von selbst in den Rachen. Vom Fleische der Maus gesättigt, enteilte die Schlange durch den von ihr geschaffenen Ausgang. Wahret euren Gleichmut! Denn das Schicksal allein sorgt für das Wohl und das Wehe der Menschen. - Indische Märchen. Hg. und Übs. Johannes Hertel. München 1953 (Diederichs, Märchen der Weltliteratur)

Gleichmut (5) Tunfischs Vater saß in den Morgenstunden gelegentlich auf einem Briefkasten und war von Passanten, die zur Arbeit gingen, dort hinauf gesetzt worden und konnte nicht wieder herunter. Rottenkopf bewunderte den Gleichmut, mit dem er die unberechtigte Verachtung seiner Mitbürger, unter die er infolge von Kriegsereignissen geraten war, ertrug. Sie hängten unter das Fenster der Schwestern seiner Frau blutige Damenschlüpfer, weil die Schwestern zu zahllosen Junggesellen und ehemüden Männern der Stadt intime Beziehungen unterhielten, die in einer großen Wohnung durchgeführt werden. Von einem Onkel hatten die drei Mädchen den zusätzlichen Hang zu Alkohol und Giften. Es gab indessen noch eine vierte Schwester, die Lehrerin war und in Hans Israels Gastwirtschaft ihren gutbürgerlichen Mittagstisch einnahm. Erst hatte Hans' Großvater Selbstmord durch Erhängen auf einem Dachboden verübt, weil bekannt geworden war, daß er mit halbwüchsigen Mädchen Doktor gespielt hatte. Dann war Hans' Vater ziemlich schnell gestorben. Tunfisch und Rottenkopf waren erst sechzehn Jahre alt, als ihr gleichaltriger Freund bereits eine Gastwirtschaft selbständig betrieb. Das schadete ihrer Gesundheit sehr, denn Hans' Mutter neigte zum Okkultismus. Einmal stand ein vollbeladener Mistwagen im Tanz-saal im ersten Stockwerk des Hauses und war von den Jungen in seine Einzelteile zerlegt, hinaufgetragen, wieder zusammengesetzt und beladen worden. - (baer)

Gleichmut (6) »Ich kann mir selbst genug sein«, sagte Herr ***, »aber notfalls kann ich auch ohne mich auskommen.« Er wollte damit sagen, daß er mit Gleichmut sterben könne.   - Chamfort, nach (cham)

Gemüt Mut

 

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Verwandte Begriffe
GemuetsruheGleichgültigkeit
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