Jenen Neigungen aber, die mich von mir ablenken und an Fremdes binden, denen
wahrlich widersetze ich mich mit aller Kraft. Meine Meinung ist, daß man andern
sich leihen und nur sich selber sich hingeben soll. - (
mon
)
Über das eigene Gesicht hatte er keine Gewalt. Es war außer ihm. Es war ohne
Teilnahme. Furchterregend durch den unbegründeten Mangel an Schönheit und Häßlichkeit
gleichermaßen. Einmal erschien es mir, als ob es zusammengestaucht sei, der
Mund war tief geschnitten und verbreitert, zwei Faltenrinnen standen an der
Stirn. Die Ohrmuscheln glichen selbständigen Wesen, listig und bleich. Er grinste.
Aber am Hotelgitter ergoß sich ihm der Inhalt seines Magens aus dem Munde. Er
hatte Brennsprit oder Dünnbier mit Koksstaub getrunken. Ihn kümmerte der Verfall
nicht. Am wenigsten sein eigener. Er konnte nicht dafür, daß die Jahre der Menschheit
zu Tausenden umherlagen. Ihm kamen keine Zweifel an der Stichhaltigkeit seiner
Lebensauffassung. Seine Zukunft war rund, und in seinen Knochen würde noch Musik
sein, wenn sie in die Grube hinabpolterten. Da er keinen Aberglauben besaß,
gab er sich nicht mit den Sternen ab und nicht mit den Trollen
in der Erde. Er las nicht eine Zeile Gedrucktes. Er ging nicht in die Kirche.
Er hörte niemand bis ans Ende an. Er kannte keine Reue.
Er fand an sich nichts zu verbessern. - (
jah
)
- Hermann Lenz, Herbstlicht. Frankfurt
am Main 2000
Gleichmut (4) In der Nacht nagte eine Maus
ein Loch in den Korb, in welchem einer Schlange Leib
zusammengepreßt war, die schon alle Hoffnung aufgegeben hatte und deren Sinne
infolge des Hungers erschlafft waren, und fiel dadurch dieser Schlange von selbst
in den Rachen. Vom Fleische der Maus gesättigt, enteilte die Schlange durch
den von ihr geschaffenen Ausgang. Wahret euren Gleichmut! Denn das Schicksal
allein sorgt für das Wohl und das Wehe der Menschen. - Indische Märchen. Hg. und Übs. Johannes Hertel. München 1953 (Diederichs, Märchen der
Weltliteratur)
Gleichmut (5) Tunfischs Vater saß in den Morgenstunden
gelegentlich auf einem Briefkasten und war von Passanten, die zur Arbeit gingen,
dort hinauf gesetzt worden und konnte nicht wieder herunter. Rottenkopf bewunderte
den Gleichmut, mit dem er die unberechtigte Verachtung seiner Mitbürger, unter
die er infolge von Kriegsereignissen geraten war, ertrug. Sie hängten unter
das Fenster der Schwestern seiner Frau blutige Damenschlüpfer, weil die Schwestern
zu zahllosen Junggesellen und ehemüden Männern der Stadt intime Beziehungen
unterhielten, die in einer großen Wohnung durchgeführt werden. Von einem Onkel
hatten die drei Mädchen den zusätzlichen Hang zu Alkohol und Giften. Es gab
indessen noch eine vierte Schwester, die Lehrerin war und in Hans Israels Gastwirtschaft
ihren gutbürgerlichen Mittagstisch einnahm. Erst hatte Hans' Großvater Selbstmord
durch Erhängen auf einem Dachboden verübt, weil bekannt geworden war, daß er
mit halbwüchsigen Mädchen Doktor gespielt hatte. Dann war Hans' Vater ziemlich
schnell gestorben. Tunfisch und Rottenkopf waren erst sechzehn Jahre alt, als
ihr gleichaltriger Freund bereits eine Gastwirtschaft selbständig betrieb. Das
schadete ihrer Gesundheit sehr, denn Hans' Mutter neigte zum Okkultismus. Einmal
stand ein vollbeladener Mistwagen im Tanz-saal im ersten Stockwerk des Hauses
und war von den Jungen in seine Einzelteile zerlegt, hinaufgetragen, wieder
zusammengesetzt und beladen worden. - (baer)
Gleichmut (6) »Ich kann mir
selbst genug sein«, sagte Herr ***, »aber notfalls kann ich auch ohne mich
auskommen.« Er wollte damit sagen, daß er mit Gleichmut sterben könne. - Chamfort, nach
(cham)
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