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B
altazar Castor
,
taz vom 9.6.2007
Gleichberechtigung (2) Irgend etwas lief schief. Vielleicht hatte sie sich auf fremdes Territorium vorgewagt, vielleicht wußte sie um Geheimnisse, mit denen sie andere erpressen konnte: im März 2004 wurde Immacolata Capone in Sant'Antimo, der Heimat ihres Lebensgefährten, erschossen. Sie war ohne Bodyguards. Vielleicht hatte sie sich sicher gewähnt. Die Killer erreichten sie mitten im Ort, zu Fuß. Immacolata Capone bemerkte noch, daß sie verfolgt wurde, und begann zu rennen, die Leute um sie herum glaubten, man habe ihr die Handtasche weggerissen und sie verfolge die Diebe, aber sie hatte die Tasche umhängen. Beim Rennen hielt sie die Tasche instinktiv fest, statt sie fallenzulassen, was sie behinderte, als sie um ihr Leben rannte. Sie schaffte es noch in ein Geflügelgeschäft, konnte sich aber nicht mehr hinter dem Ladentisch verstecken. Die Killer holten sie ein, setzten ihr die Pistole in den Nacken und töteten sie mit zwei Schüssen: mit der kulturellen Rückständigkeit, die es mit sich brachte, daß Frauen nicht angerührt wurden, und die Anna Mazza noch geschützt hatte, war es vorbei. Der von Kugeln zerschmetterte Schädel, das blutüberströmte Gesicht waren der Beweis für die neue militärische Doktrin der Clans. Kein Unterschied mehr zwischen Mann und Frau. Kein angeblicher Ehrenkodex mehr.
Doch das Matriarchat der Moccia erholte sich langsam und tätigte weiter große
Geschäfte, kontrollierte sein Territorium mittels geschickter Investitionen
und umfangreicher Kreditvergaben, beherrschte den Grundstücksmarkt und vermied
Fehden oder Bündnisse, die die Unternehmen der Familie gestört hätten.
- Roberto Saviano, Gomorrha. Reise in das Reich der Camorra. München 2006
Gleichberechtigung (3) Verglichen mit
dem Dienst auf Kauffahrern oder gar Kriegsschiffen war das Piratendasein
höchst verlockend, und nicht nur wegen größerer Gewinngelegenheit. Die
würgende Unterordnung dort war hier durch Gleichberechtigung ersetzt. Kapitän
und Offiziere, von der Bordgemeinschaft gewählt und durch diese jederzeit
absetzbar, wohnten nicht besser als der letzte der Mannschaft, und bei
den Mahlzeiten aßen sie alle zu je sieben aus einem Holznapf das gleiche.
Freiwillige Selbstdisziplin machte Strafen — die gemeinsam beschlossen
wurden — selten, zumal das bei der Marine übliche verhaßte Auspeitschen.
Der Kapitän war einzig Navigator und Gefechtsleiter. Für Ordnung im übrigen
sorgte der gewählte Quartermeister, der nächst dem Schiffsführer damals
auch auf den Handelsseglern noch der mächtigste Mann an Bord war, wie etwa
beim Kommiß der „Spieß" neben dem Hauptmann: Verwalter und Büttel
in eins. Streitigkeiten der Flibustier untereinander wurden nach eingeholter
Erlaubnis nur an Land und mit Säbel oder Flinte ausgetragen.
Bei Mord wurde der Mörder mit dem Ermordeten zusammengebunden
und ins Meer geworfen. Diese Strafe hatte man von der Marine übernommen.
Da jeder wußte, was auf dem Spiele stand: Gewinn oder Galgen, und jeder
auf den andern angewiesen war, auf dessen Anständigkeit und Hilfsbereitschaft,
betrug sich jeder danach. Das Gefühl der Freiheit ist der beste Anreiz
zur Selbstdisziplin. Betrügereien, etwa bei der Beuteverteilung
— niemand durfte vorher wirkliche Werte für sich auf die Seite bringen
—, waren nicht häufiger als bei bürgerlichen Handelsgeschäften. -
(bord)
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