lasschiff    Das, was vielleicht mehr als alles andere meine unbestimmten Träume und Sehnsüchte zu einem endgültigen Plan werden ließ, mein Glück zur See zu versuchen, war ein altmodisches Glasschiff, etwa achtzehn Zoll lang, eine französische Arbeit, die mein Vater vor etwa dreißig Jahren von Hamburg mitgebracht hatte als Geschenk für einen Großonkel von mir, Senator Wellingborough, der als Kongreßmitglied in den Tagen der alten Konstitution gestorben war und nach dem genannt zu sein ich die Ehre habe. Nach dem Tode des Senators war das Schiff zum Geber zurückgekehrt.

Es wurde in einem rechteckigen Glaskasten aufbewahrt, der von einer meiner Schwestern regelmäßig jeden Morgen abgestaubt wurde und auf einem kleinen klauenfüßigen holländischen Teetisch in einer Ecke des Wohnzimmers stand. Dieses Schiff, das die Bewunderung von meines Vaters Besuchern in der Stadt gewesen war, wurde zum Gegenstand des Erstaunens und Entzückens aller Leute des Dorfes, in dem wir nun wohnten, von denen viele meine Mutter zu keinem anderen Zweck besuchten, als um sich das Schiff anzusehen. Es lohnte wohl die langen und neugierigen Betrachtungen, die man ihm zu widmen gewohnt war.

Erstens: Jede Kleinigkeit daran bestand aus Glas, und das schon war ein großes Wunder, denn die Masten, Rahen und Taue glichen genau den entsprechenden Teilen eines wirklichen seetüchtigen Schiffes. Es trug auf seinen zwei Decks zwei Reihen schwarzer Kanonen, und oft versuchte ich einen Blick in die Stückpforten zu werfen, um zu sehen, was sich noch darin befand. Aber die Pforten waren zu klein, und drinnen sah es so dunkel aus, daß ich nur wenig oder gar nichts entdecken konnte. Als ich noch sehr klein war, zweifelte ich allerdings nicht daran, daß ich den Schiffsrumpf nur zu durchsuchen brauchte, indem ich das Glas zerbrach, um ohne Zweifel irgend etwas Wunderbares ans Tageslicht zu fördern, vielleicht ein paar goldene Guineen, die mir stets gefehlt hatten, solange ich mich entsinnen konnte. Und oft verspürte ich ein unvernünftiges Verlangen, das Glasschiff, den Kasten und alles zu zerstören, um zu der Beute zu gelangen, und als ich eines Tages meinen Schwestern gegenüber etwas verlauten ließ, liefen diese mit großem Geschrei zu meiner Mutter, und dann wurde das Schiff eine Zeitlang auf den Kaminsims gestellt, außerhalb meiner Reichweite und so lange, bis ich wieder zur Vernunft gekommen sei.

Ich weiß nicht, wie ich diese meine zeitweilige Unvernunft erklären soll, es sei denn, ich hatte in einem Geschichtenbuch von dem Schiff des Kapitäns Kidd gelesen, das irgendwo in der Nähe der Highlands auf dem Grunde des Hudson lag, so voller Gold, wie es nur möglich war, und von einer Gruppe von Männern, die versuchten zu tauchen und den Schatz aus dem Schiffsrumpf zu holen, woran vorher niemand gedacht hatte, obgleich das Schiff dort seit beinahe hundert Jahren lag.

Nicht zu reden von den hohen Masten, den Rahen und dem Takelwerk dieses herrlichen Schiffes, in dessen Labyrinth von gesponnenem Glas ich in meiner Phantasie umherzuschweifen pflegte, bis mir oben auf dem Großtopp schwindlig wurde, will ich nun die Menschen an Bord erwähnen. Auch sie waren alle aus Glas, so hübsche kleine gläserne Matrosen, wie je einer gesehen hat, mit Hüten und Schuhen, genau wie lebende Menschen, und seltsamen blauen Jacken, unten herum mit einer Art Krause. Vier oder fünf von ihnen waren flotte kleine Burschen, die weit ausholend in die Takelung hinaufenterten, aber trotz allem im ganzen Jahr keinen einzigen Zoll vorwärts kamen, das kann ich beschwören.

Ein anderer Matrose saß rittlings auf dem Besanbaum, die Arme über dem Kopf, aber ich habe nie herausfinden können, wozu er das tat. Ein zweiter war im Vortopp und hatte eine gläserne Taurolle auf der Schulter. In der Nähe des Vorderluks spaltete der Koch mit einem gläsernen Beil Holz. In einer gläsernen Schürze eilte der Steward mit einer Schüssel voll gläsernem Pudding zur Kajüte, und mit rotem Maul bellte ein gläserner Hund hinter ihm her, während der Kapitän mit einer gläsernen Mütze auf dem Achterdeck eine gläserne Zigarre rauchte. Er lehnte sich gegen die Reling und hielt die Hand am Kopf. Wahrscheinlich war ihm übel, denn er schaute ganz glasig aus den Augen.

Der Name dieses seltsamen Schiffes war „La Reine", die Königin. Dieser war auf das Heck gemalt, wo ihn jedermann lesen konnte, umgeben von einer Menge im Halbkreis eingeschnitzter gläserner Delphine und Seepferde.

Und diese Königin segelte dahin als unbestrittene Herrin einer grünen gläsernen See, von der einige Wogen wild über ihren Bug hinweggingen, so daß ich, das kann ich euch versichern, das Schiff jeden Augenblick gescheitert und verloren sah, bis ich älter wurde und begriff, daß ihm nicht die geringste Gefahr von der Welt drohte.

Im Laufe vieler Jahre war eine ganze Menge Staub und flockiges daunengleiches Zeug durch die Ritzen des Kastens gedrungen, in dem das Schiff aufbewahrt wurde, und bedeckte das ganze Meer mit einem leichten weißen Hauch, der womöglich die allgemeine Wirkung noch erhöhte, denn er glich dem Gischt und Schaum, der durch den furchtbaren Sturm aufgewühlt wurde und gegen den die gute Königin ankämpfte.

Soviel über „La Reine". Wir haben sie noch zu Hause, aber viele ihrer gläsernen Spieren und Taue sind nun kläglich zerschlagen und zerbrochen, ich will sie jedoch nicht instand setzen lassen. Auch ihre Galionsfigur, ein kühner Krieger mit einem Dreispitz, hängt kopfüber in das Wellental einer verhängnisvollen See unter dem Bug, aber ich will ihn nicht wieder auf die Beine stellen lassen, ehe ich nicht selbst auf meine eigenen gekommen bin, denn zwischen ihm und mir besteht eine geheime Sympathie. - Herman Melville, Redburn. Seine erste Reise. In: H. M., Redburn, Israel Potter und sämtliche Erzählungen. München 1967 (zuerst 1849)

 

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