eworfenheit‹ war eine der eindrucksvollsten Prägungen der Daseinsanalytik auf dem Wege zur nie gelösten Frage nach dem ›Sinn von Sein‹. Es entsprach einem Grundgefühl dieses Jahrhunderts, daß man nicht sehr sorgsam ins Dasein gebracht worden war, erkennbar schon an den Ratlosigkeiten aller an der Aufzucht Beteiligten, die von neuen ›Wissenschaften‹ zuerst verlegen im Selbstverständlichen gemacht werden mußten, um sie dann mit reich drapiertem Rat und Druck auf die vielfach dissentierenden ›rechten Wege‹ der Erziehung und Konditionierung zu bringen. Vielen, die ihre gläubigen Erinnerungsreste von sich taten, erschien die ›Geworfenheit‹ zu Recht als Ausdruck für die verlorene ›Geborgenheit‹ im Vertrauen auf göttliche Vorsehung und deren Derivat in der Natürlichkeit elterlicher Fürsorge. Dazu die geschichtliche Willkür, die jeden fragen lassen konnte, warum gerade er in dieses mißlingende Säkulum gestoßen worden sei, da es doch — so der unbegründete Verdacht — auch angenehmere ›alte Zeiten‹ gegeben hätte. Es kam vieles zusammen, um Heideggers Wortschöpfung breite Zustimmung zu verschaffen.

Nun gibt es das Bedürfnis nach Symmetrie nicht nur als ästhetisches, sondern erst recht als theoretisches Desiderat. War das In-der-Welt-sein im zeitübergreifenden Sich-voraus-sein gezeichnet als Sein-zum-Tode, so lag die Reklamation nahe, dies sei endlastige Faszination durch die Mortalität, und es käme über dem Ende der Anfang zu kurz, die Natalität, die in sanfterer Sprache das Erblicken des Weltlichts geheißen hatte. Wechselt man so die Terminologie ein wenig, findet man sich nahe an den Biologismen, die die zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts nicht weniger für sich beanspruchten als die Existenzialismen. Man kann sogar sagen, die expressionistisch getönte Sprache der Daseinsanalytik rivalisiere mit einer biologisch geprägten Anthropologie gerade darin, daß sie für deren Sprache in jedem Fall Äquivalente anzubieten habe, die der Mißdeutung des Daseins als eines ›vorhandenen‹ Lebewesens entgegengestellt waren. Dann war ›Geworfenheit‹ sowenig das factum brutum des Austritts aus der mütterlichen Leibeshöhle wie ›Sein zum Tode‹ das Wissen vom unvermeidlichen Herzstillstand oder Hirnversagen.

Es ist daher fraglich, ob der Wortschöpfer jemals an die ›Geworfenheit‹ im animalischen Sinne gedacht hat, wie das Muttertier seine Jungen ›wirft‹ und diese miteinander diesen ›Wurf‹ ausmachen. Im Kontext stehen andere metaphorische Assoziationen, wie die ›Bewegtheit‹ des Daseins als ›Absturz‹: Das Dasein stürmt aus ihm selbst in es selbst, in die Bodenlosigkeit und Nichtigkeit der uneigentlichen Alltäglichkeit. Es gibt die biologische Abgeschlossenheit des ›Wurfes‹ nicht, weil dieser auf einem ›Boden‹ geschieht, um auf diesem aufzuwachsen, während die ›Geworfenheit‹ ins Bodenlose geht und darin ausdrücklich ›Sturz‹ bleibt, ›ständiges Losreißen von der Eigentlichkeit‹ und ›Hineinreißen in das Man‹, das seinen Terminus im ›Wirbel‹ bekommt. Zur biologischen Konnotation fehlen Aufwuchs und Ausreife, Abschlußphasen, die die Hinfälligkeit zum Tode als eine Wendung im Lebensprozeß erscheinen lassen wollen. Biologisch ist eben nur bedingt richtig, was Papst Innozenz III. in »De contemptu mundi« für viele Weltunfreudige schrieb: Wir sterben, solange wir leben, und erst wenn wir aufhören zu sterben, hören wir auf zu leben. Ins Zeitalter vermeintlicher Lebenserhaltungstechniken versetzt, hat es sich der Philologe Jacob Bernays so aufgeschrieben: Hufelands Makrobiotik ist die Kunst, lange zu sterben. Zur Hintergrundmetaphorik der daseinsanalytischen ›Geworfenheit‹ paßt das Gebären, Kalben und Jungen nicht. Nicht zu einem Satz wie diesem: Die Geworfenheit ist nicht nur nicht eine ›fertige Tatsache‹ sondern auch nicht ein abgeschlossenes Faktum. Zu dessen Fakultät gehört, daß das Dasein, solange es ist, was es ist, im Wurf bleibt und in die Uneigentlichkeit des Man hineingewirbelt wird. Es ist eher eine räumliche Konnotation von Sturz und Fall, Wurf und Wirbel, zu der Bodenlosigkeit gehört, weil jeder ›Boden‹ dieser Bewegung ein gewaltsames Ende machte, statt ihr endlich Grund und Bestand zu verschaffen, wie es das ›Vorhandene‹ haben muß.

Daß dem Imaginationszug von ›Geworfenheit‹ der ›Fall‹ angehört, läßt an den theologischen Hintergrund der als Deskription ausgegebenen Befunde denken, der in der Marburger Entstehungsphase von »Sein und Zeit« bei Rudolf Bultmann seine Induktion gehabt haben könnte, wörtlich vor allem aus der Gnosisformel der »Excerpta ex Theodoto« des Clemens Alexandrinus, die den Freiheitsgewinn der offenbarten ›Erkenntnis‹ zusammenrafft: Was uns frei macht, ist die Erkenntnis, wer wir waren, was wir wurden; wo wir waren, wo hinein wir geworfen wurden; wohin wir eilen, wovon wir erlöst werden, was Geburt ist und was Wiedergeburt. Das Woher und das Wohin waren in strikter Symmetrie gehalten, ein Bezugsrahmen von derjenigen Unbestimmtheit, die immer die Hirne angezogen hat, ihn auszufüllen und sich dabei zu zerstreiten. Doch war das Woher schärfer gefaßt als mit dem klassischen ›Fall‹ der Ursünde, nämlich mit der Gleichsetzung von Woher und Wohin am Anfang durch das Geworfenwordensein in die Welt und den Leib von einem transzendenten Ausgangspunkt her, zu dem zurückzukehren nur die Umkehrung der Vorgeschichte, ihres Woher und Wohin sein konnte: aus der Fremde zurück zum Ursprung, zur ›Eigentlichkeit‹. Da ist die Entfernung vom Ursprung keine sündige ›Tat‹, sondern das Erleiden eines Unheils, der Welt und des Durchlaufs durch sie als einer Passion des pneuma als der erlösungswürdigen ›Essenz‹ des in den Welt-und Leib-Seelen-Bann verführten Menschen. Dazu gehört also die Passivität der ›Geworfenheit‹, die in der ›Geburt‹ nur eine ihrer Episoden hat, wie auf der anderen Seite anstelle des Todes die ›Wiedergeburt‹, auf die hin kraft der Erkenntnis Aktivität möglich wird: zwar wohin wir eilen, aber zuvor wohinein wir geworfen wurden (pou eneblethemen). Nicht zu übersehen ist, daß Luther sogar die Menschwerdung des Gottessohnes so passivisch als Geworfenheit ins Fleisch verstehen konnte, dabei der Sprache der Heilstat durch Leibannahme nach aller Tradition vergessend. Und Luthers Sprache war Heidegger vertraut, es ist weithin die Sprache Augustins in seiner antipelagianischen Epoche, die von der Figur der Vorentschiedenheit bestimmt ist und damit auch die Heilsgeschichte zu passiven Akten umzuformen tendiert. So fehlt auch der ›Daseinsanalytik‹ das Pathos der Freiheit, und darin gibt es keine ›Kehre‹ zur ›Seinsgeschichte‹ hin, die eine Projektion der augustinisch-lutherischen Prädestination ins Übergroße ist.

Dadurch, daß die Würfel angefallen sind, wenn sie geworfen wurden, ist eine imaginative Affinität, ja Überschneidung der ›Geschichte‹ von Geworfenheit mit dem großen Metaphernareal des Spiels gegeben, geradezu ›systematisch‹ sichtbar gemacht durch Pascals Verbindung zwischen Heilssorge und Wahrscheinlichkeitsabwägung im (theologisch) riskanten argument du pari, dessen Spiegelung — ohne belegbaren Nexus — die Wette auf Faustens ›Rechtfertigung‹ in Goethes Himmelsvorspiel ist. Der erklärte Atheist Einstein verwahrt sich dagegen, daß in der wissenschaftlichen Erwartung statt der vollen Gesetzlichkeit an den würfelnden Gott geglaubt werden könne. Auf das spielende ›Subjekt‹ kommt es hier sowenig an wie bei der ›Geworfenheit‹ sonst, denn in demselben Brief an Max Born vom 7. September 1944 ist neutral vom Glauben an das fundamentale Würfelspiele die Rede, dem trotz des Erfolgs der Quantentheorie zu widersprechen Einstein sich auch angesichts dessen nicht scheut, daß die jüngeren Kollegen dies als Folge der Verkalkung auslegen. Ich zitiere das hier, weil man spürt, welche Grundschichten von Weltansicht, meinetwegen ›Seinsauslegung‹, mit dieser Metaphorik - um sie gleich zu iterieren - ›ins Spiel gebracht werden können. - (blum)

Geworfenheit (2) Wie am Vorabend legte er sich auf das Bett, um zu warten.

Wieder kamen die drei Riesen durch den Kamin und setzten sich hin, um Karten zu spielen, wobei sie großen Lärm machten und miteinander stritten. Sie dachten nicht mehr an Ewen, den sie unter den Matratzen erstickt zu haben glaubten, als auch der Teufel-Hinkefuß mit großem Lärm durch den Kamin hereinkam und sagte: «Was? Ihr sitzt ruhig da und spielt Karten und habt keine Ahnung, daß der Müller immer noch da ist und Euch belauert, um Euch Eure Geheimnisse abzulauschen, Euch aus diesem Schloß zu verjagen und die Sonnenprinzessin zu befreien!»

«Beruhige Dich», erwiderten sie, «wir haben nichts mehr von dem Müller zu fürchten, denn gestern abend, bevor wir weggingen, haben wir ihn unter den Matratzen des Bettes, in dem er sich versteckt hatte, erstickt.»

« Das glaubt Ihr? Dann sagt mir doch, wer ist denn das, der da im Bett liegt? »

«Was? Da liegt schon wieder einer im Bett? »

Und sie liefen an das Bett und riefen erstaunt: «Da ist er ja schon wieder! Wie kann denn das sein? Diesmal aber werden wir ihm den Garaus machen.»

Und sie rissen ihn aus dem Bett und warfen ihn hin und her wie einen Ball, von einem Ende der Küche zum andern, manchmal auch gegen die Decke oder auf die Steinfliesen. Der arme Ewen gab keinen Laut von sich, wie sehr er auch litt.

Während sie mit diesen Übungen beschäftigt waren, krähte der Hahn; aber bevor sie abzogen, warf der Teufel-Hinkefuß Ewen so heftig gegen die Wand, daß er dort klebenblieb wie ein Bratapfel. - (bret)

Fallen Sein Werfen
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