espräch, platonisches   „Im allgemeinen aber freilich, mein lieber Sokrates", so sagte ich meinerseits hinwiederum, o Köbes, „schienen uns bei weitem die Schriften jener langweiligen, ganz besonders klassischen Zeit von einer gar hervorragenden, korinthenzählenden Haarspalterei und geringfügigen Wichtigkeit zu sein und erfüllt von einer uns in gar mancher und verschiedener Weise gar nicht betreffenden noch anziehenden Unverständlichkeit und Langweiligkeit, daß wir im allgemeinen beim Lesen ihrer Werke von fast gar keiner Aufmerksamkeit waren, hingegen vielmehr überhaupt meist sicherlich im Schlafe lagen". „Ganz gewiß durchaus fürwahr und überhaupt vollständig sprichst du die reine und lautere Wahrheit, mein lieber Simias, und überaus verhält es sich so ganz und gar, und wie nicht?" - Max Ernst u.a., Stilprobe aus Plato. In: M. E., Aus unserem Leben an der Penne. Hg. Angela Merte u.a. Siegen 1991 (Vergessene Autoren der Moderne LI)

Gespräch, platonisches (2)  Madame Blognard staubsaugte. Der Inspektor war nicht in seinem Büro, weil Sonntag war, und er nutzte die Gelegenheit, um in ihrer Gegenwart laut zu denken und über den Stand der Ermittlungen eine Zwischenbilanz zu ziehen; seine Frau hörte ihn trotz des Lärms des Staubsaugers und antwortete ihm von Zeit zu Zeit, so wie man Sokrates antwortete, weil ihm das beim Nachdenken half.

»Warum?« sagte Blognard, »weil das Motiv bereits die Hälfte des Verdächtigen ist. Und der oder die Verdächtigen, das ist die Hälfte der Lösung. Und die Lösung, das ist die Hälfte der Verhaftung. Und die Verhaftung, das ist die Hälfte der Verurteilung. Daher ist das Motiv zwar nur ein Sechzehntel der Verurteilung, aber es ist immerhin ein unerläßliches Sechzehntel und wichtiger als alle anderen Sechzehntel. Und warum wohl?«

»In der Tat, warum wohl, wirklich, das frage ich mich?« sagte Louise Blognard und stellte für einen Augenblick den Staubsauger ab.

»Du wirst mir zustimmen«, sagte ihr Mann, »daß eine Ermittlung so etwas ist wie ein Haus.«

»Das sagst du sehr richtig, Anselme, jetzt, wo du es sagst, sehe ich ganz deutlich, daß eine polizeiliche Ermittlung in einem zwar kühnen, aber wohlbegründeten Bild mit einem Haus verglichen werden kann.«

»Wohlbegründet, das ist das Wort! Um ein Haus zu bauen, braucht man ein Fundament, und das Fundament des Gebäudes der Ermittlungen ist das Motiv! Manche meinen, es sei der Verdächtige, aber nach meinem Dafürhalten heißt das, mitten in der Luft anfangen wollen, mit der ersten Etage, aber das ist das sicherste Mittel, um auf die Schnauze zu fallen. Und deshalb ist ein Fall wie der des ›Schreckens der Haushaltwarenhändler‹ so schwierig. Nimm hingegen einen schönen, dicken Mord ...«

Louise nahm ihn.

»Was tut man? Man schaut sich zunächst einmal um, wer das Opfer kennt, denn in unserem Land bringt man nur Leute um, die man kennt, das ist nicht wie in Chicago oder in Nuyork. Man geht alle durch, und schwupp, hat man ein Motiv.«

»In der Regel hat man sogar mehrere, wenn ich mich nicht täusche«, sagte Madame Blognard und löste sich für einen Augenblick sehr kühn von ihrer Rolle als Echo.

»Gewiß, gewiß«, sagte ihr Mann nachsichtig. »Aber das ändert nichts. Man hat zwar mehrere Motive, wenn du so willst, aber gleichzeitig hat man auch schon die für alle diese Motive gesuchten Verdächtigen, und das bedeutet, daß man auf einen Schlag das Fundament und das Erdgeschoß gebaut hat.«

»Die erste Etage, Anselme, du hast gesagt, die Verdächtigen seien die erste Etage.« Inspektor Blognard runzelte die Stirn. - Jacques Roubaud, Die schöne Hortense. München 1992 (dtv 11602, zuerst 1985)

 

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