Gespensterperson    Die Poeten bewahrten den Monismus der animistischen Phase. Der dichterische Illusionismus ist das Endstadium der mythischen Epoche, [die als schattenhafter Ästhetizismus zu lange geisterte.] Maler wie Poeten fürchteten die Vereinsamung. So führten sie, trotz der imaginativen Leidenschaft, bekannte motivische Reste in ihre Bilder und Gedichte ein. Mit diesen leitet man den Klienten in das rätselhafte Kunstwerk. Die Literaten lieferten mit der Imagination den popularisierenden Fremdenführer. Dadurch gerieten ihre Bilder zu zweideutigen Kompromissen. Motivische Reste und metaforische Ornamentik karikierten einander.

Die Intellektuellen hatten sich zu Gespenstern gezüchtet und ihre Schattenhaftigkeit durch Vereinsamung gesteigert. Die Intellektuellen suchten ihrer labilen Vieldeutigkeit, der fan-tomhaften Gestaltlosigkeit zu entrinnen. Sie schlössen sich an kollektive Bewegungen an, um sich zu begrenzen und zu verdichten. Doch der kontemplative Idealismus hatte ihre Aktionsfähigkeit zerstört.

Letzten Endes steckt in der imaginativen Kunst, im metafori-schen Manierismus das Geständnis der Unfähigkeit, mit einem Satz einen Fakt zu umgrenzen, eine Tatsache zu absorbieren und zu gestalten, ohne sie zu verlieren.

Die Intellektuellen ertrugen Erlebnis und sich selber nur noch in der Verkleidung. Karneval des Todes.

Die Literaten reimten ihre Metafern und glaubten, Tatsachen hervorzuzaubern. In ihnen agierten die Fantasmen, doch die Einbildungen waren Symptom der asocialen Einstellung oder der socialen Konstellation. Die Intellektuellen waren unfähig, das konkrete Geschehen ahnend zu berühren. Die Gedichte verarmen zu sinnlos mechanischen Klangreihen. [Musikalische Bilder.] Man endete in musikalischer Dekoration. Wir greifen die Flucht der Geistigen vor Wertung und Sinngebung. Die Künstler waren aus dem Tagesgeschehen in die Fantasmen geflüchtet. Doch die Bilder und Gedichte widersprachen dem eigenen Dasein und der eigenen Gestalt. Bald waren die eigenen Produkte, die den direkten Menschen offenbaren sollten, den Dichtern entfremdet. [Sie hofften diese in anderen, abgeänderten Bildern zu vergessen. Man wechselt rasend die Aspekte, verwendet gegensätzliche Manieren, doch die distanzierende Grundeinstellung bleibt bestehen. «Produktion und rasche Negation seiner selbst - die ewige Negation des Schöpfers.»] Die Gedichte bedrohten ihre Erzeuger, da sie deren Haltung fixierten und sie vom eigenen Tagesleben abtrennten. Die imaginative Gespensterperson führte ein selbständiges Leben jenseits des Daseins. Den Modernen verrauchte das Erlebnis rapid zur Fiktion. Das Geschehen wurde ungreifbar, da es unablässig metaforisch verwandelt wurde. Bald werden die Modernen jedes Stilmittel beschwören, um die Dynamik ihrer Einbildung zu begrenzen und zu bremsen. [Sie werden eklektisch.] Die metaforische Manier erweist, daß die Realität der Minderheit dürftig   geworden war. Die Armut an Tatsächlichkeit erzwang die metaforische Dekoration.

Diese dekorative Anhäufung erinnert an den Eifer des antiken, religiösen Menschen, der seine Götter durch Symbolmassen greifbar machen will. Er kompensierte die erschreckende Unsichtbarkeit der Unsterblichen durch Bilder und Zeichen. Die imaginativ besessenen Intellektuellen hatten die Wirklichkeit eskamotiert. An Stelle der positiven Tatsachen waren hundert angeblich geniale Deutungen gerückt [Das Gefährliche, kaum Lebbare der genialen Deutung.] Die Wirklichkeit war ungreifbar geworden; man kompensierte die mangelnde eindeutige Erfahrung durch Metafern.

Die Literaten hatten in den Gedichten, die Maler in den Bildern  den Zusammenhang der Wirklichkeit unterbrochen. Sie betrieben die alte Technik der Wunder.   - Carl Einstein, Die Fabrikation der Fiktionen. Reinbek bei Hamburg 1973 (dnb 17, entst. ca. 1935)

Gespenst Person

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