Gesichter, leere  „Wenn ich durch das, was früher Straßen waren, jetzt zu Ihnen komme und unterwegs die bösartigen, verkniffenen und dabei leeren Gesichter, diese häßlichen Gesichter sehe, denke ich immer: verwandtschaftlich gesehen traurig, aber innerhalb der geschichtlichen Welt wie folgerichtig und wahr! Ein Volk will Weltpolitik machen, aber kann keinen Vertrag halten, kolonisieren, aber beherrscht keine Sprachen, Mittlerrollen übernehmen, aber faustisch suchend -jeder glaubt, er habe etwas zu sagen, aber keiner kann reden - keine Distanz, keine Rhetorik - elegante Erscheinungen nennen sie einen Fatzke - überall setzen sie sich massiv ein, ihre Ansichten kommen mit dicken Hintern -in keiner Society können sie sich einpassen, in jedem Club fielen sie auf - drei Dezennien hatten sie wohl mal Geld, aber das genügt nicht für wirklich gepflegte Rasenflächen - lesen Sie, was Bülow über die Interieurs von Friedrichsruh verzeichnete: kein schönes Bild, keine größere Bibliothek, von Plafonds, Gobelins, orientalischen Teppichen keine Rede, die Sonne Homers hatte diesem Haus nicht gelächelt, und der Glanz der italienischen Renaissance, der wenigstens einige Schlösser Norddeutschlands, wie Tegel oder das Goethe-Haus, angestrahlt hatte, war hier verloren. Ich füge hinzu, alles kahl und notdürftig wie die Pedenfelder von Fehrbellin. Individualisten im provinziellen Sinne, mit nichts finden sie sich ab, schlechte Verlierer - wenn man jetzt hier durch die Straßen geht, fliegt zwar auch überall Staub, aber es ist nicht der weiße leichte Staub der Mittelmeerländer, der Ihren Chrysler mit Schnee bedeckt, es ist nicht die helle glückliche Asche aus zerbröckelnden Hermen und ermüdeten Aphroditen, der sich noch einmal atmend über Rosen und Oleander streut.«  - Gottfried Benn, Der Ptolemäer. Berliner Novelle 1947. In: G. B., Prosa und Szenen. Ges. Werke Bd. 2. Wiesbaden 1962
 

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