esicht, eigenes An der Wand ist ein weißes Loch, der Spiegel. Das ist eine Falle. Ich weiß, daß ich mich fangen lassen werde. Da! Das graue Ding ist im Spiegel aufgetaucht. Ich trete näher und sehe es an, ich kann nicht mehr weggehen.
Das ist die Spiegelung meines Gesichtes. Oft, an diesen verpfuschten Tagen, sehe ich es lange an. Ich werde aus diesem Gesicht nicht schlau. Die der anderen haben einen Sinn. Meines nicht. Ich kann nicht einmal entscheiden, ob es schön oder häßlich ist. Ich denke, es ist häßlich, da man es mir gesagt hat. Aber das trifft mich nicht. Eigentlich bin ich sogar schockiert, daß man ihm derartige Eigenschaften zusprechen kann, so als wollte man einen Erdklumpen oder einen Felsblock schön oder häßlich nennen.
Da ist trotzdem etwas, das man mit Vergnügen sieht, über den weichen Flächen der Backen, über der Stirn: das ist diese schöne rote Flamme, die meinen Schädel vergoldet, das sind meine Haare. Das ist ein erfreulicher Anblick. Das ist wenigstens eine eindeutige Farbe: ich bin froh, rothaarig zu sein. Das ist da, im Spiegel, das sieht man, das leuchtet. Ich habe noch Glück: wenn über meiner Stirn so ein Haarschopf wäre, der weder braun noch blond ist, würde sich mein Gesicht im Unbestimmten verlieren, es würde mich schwindelig machen.
Mein Blick wandert langsam, unwillig über diese Stirn, über diese Wangen: er trifft auf nichts Festes, er versandet. Natürlich, da ist eine Nase, Augen, ein Mund, aber das alles hat keinen Sinn, nicht einmal einen menschlichen Ausdruck. Dennoch fanden Anny und Vélines meinen Gesichtsausdruck lebhaft; kann sein, daß ich zu sehr an mein Gesicht gewöhnt bin. Meine Tante Bigeois sagte zu mir, als ich klein war: «Wenn du zu lange in den Spiegel schaust, wirst du einen Affen sehen.» Ich muß wohl noch länger hineingeschaut haben: was ich sehe, ist noch weit unter dem Affen, an der Grenze der pflanzlichen Welt, auf dem Niveau der Polypen. Das lebt, ich bestreite es nicht, aber es ist nicht dieses Leben, das Anny meinte: ich sehe leichte Zuckungen, ich sehe schales Fleisch, das ungezwungen schwillt und bebt. Die Augen vor allem sind aus dieser Nähe gräßlich. Das ist glasig, gallertartig, blind, rotgerändert, wie Fischschuppen, könnte man meinen.
Ich lehne mich mit meinem ganzen Gewicht gegen den Keramiksockel, ich nähere
mein Gesicht dem Spiegel, bis es ihn berührt. Die Augen, die Nase und der Mund
verschwinden: es bleibt nichts Menschliches mehr. Braune Falten zu beiden Seiten
der fiebrigen Schwellung der Lippen, Schrunden, Maulwurfshügel. Ein seidiger,
weißer Flaum zieht sich über die großen Hänge der Backen, zwei Haare kommen
aus den Nasenlöchern. - Jean-Paul Sartre,
Der Ekel. Reinbek bei Hamburg 2004 (zuerst 1938)
Gesicht, eigenes (2)
Mein eigenes Gesicht In den dämmrigen grauen Straßen |
- Hans Arp, nach
(mus
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