eschmack, schrecklicher   Er war mittelgroß, ein wenig derb gebaut, doch energiegeladen, stark und behende; ein ausnehmend edles Gesicht mit stolzer Miene, voller natürlicher Grazie in den Gesten und im Gespräch, viel angeborene Klugheit, die er niemals ausgebildet hatte, ein leichter Wortfluß, getragen von natürlicher Kühnheit, die sich im Laufe der Zeit zur hemmungslosesten Dreistigkeit verkehrte; tiefe Kenntnis der Gesellschaft, des Hofs, der sich dort ablösenden Persönlichkeiten und, unter einer scheinhaften Unbekümmertheit, Sorgfalt und fortdauernde Beflissenheit, Nutzen aus allem zu schlagen, vor allem bewundernswerter Mann von Welt, der, im Schütze der königlichen Schwäche für seine uneheliche Abkunft, noch aus seinen übelsten Lastern Vorteil zog, höflich aus Berechnung, aber stets ganz gezielt und mit geiziger Bemessenheit, bis zum Äußersten unverschämt, sobald er glauben konnte, daß Bestrafung nicht zu erwarten war, und zur selben Zeit vertraut und schlicht mit dem einfachen Manne, aus einer Gefühlsneigung heraus, die seine Eitelkeit bemäntelte und ihn populär machte; im Grunde der Hochmut selbst und von einem solchen Hochmut, der alles für sich wollte, der alles verschlang. Je höher er stieg und an Gunst gewann, desto übermächtiger wurden sein Dünkel, seine Rücksichtslosigkeit, seine Starrköpfigkeit, die an Verbohrtheit reichte, so daß letztendlich jegliche Meinungskundgebung Unfug wurde und er nur noch für einen kleinen Cercle Vertrauter und für seine Diener erreichbar war. Das Lobhudeln, dann das Anstaunen, zuguterletzt das Anbeten waren der einzige Kanal, über welchem man diesem Halbgott nahezukommen vermochte, der seinerseits unausgegorene Behauptungen verfocht, ohne daß irgendwer es gewagt hätte, ihm nicht beizupflichten, geschweige denn ihm zu widersprechen. Mehr als sonst jemand kannte und mißbrauchte er die Unterwürfigkeit der Franzosen. Nach und nach gewöhnte er seine Untergebenen, einen nach dem anderen, seine ganze Armee daran, ihn ausschließlich mit Monseigneur und Euer Hoheit anzusprechen. Aus dem Nichts heraus wucherte solches Krebsgeschwür bis zum Generalstab, den angesehensten Leuten hinauf, von denen sich nicht einer, ganz wie bei einer Herde von Schafen, getraut hätte, ihn anders zu titulieren. Was jedem, der wußte, daß der König lange Zeit seines Lebens ein Frauenheld gewesen war, sodann ein lästiger Frömmler, aber in beiden Lebensabschnitten ein ganz besonderes Grauen vor den Bewohnern Sodoms empfunden hatte, ausnehmend wundersam schien, war die Tatsache, daß M. de Vendôme tiefer als jeglicher darin eingetaucht war, in größter Öffentlichkeit und davon nicht mehr Aufhebens machte als von der unschuldigsten und gewöhnlichsten Liebesaffäre, ohne daß der König, welchem dies stets bekannt gewesen war, jemals Anstoß daran genommen hätte oder weniger entgegenkommend zu ihm gewesen wäre. Dieser Skandal verfolgte Vendôme sein Lebtag lang bei Hofe, in Anet, bei den Truppen. Seine Dienerschaft und untergeordneten Offiziere befriedigten diesen schrecklichen Geschmack, waren dafür bekannt und wurden von jedem, der es bei M. de Vendôme zu etwas bringen wollte, vertraulich umschmeichelt. Man hat ja erlebt, mit welcher Stirn er sich zweimal öffentlich der Quecksilberkur unterzog, Urlaub dafür nahm, der erste war, der sich das getraute, und daß die Nachricht von seiner Gesundung amtlich bekanntgegeben wurde, und mit welcher Unterwürfigkeit der Hof dem Beispiel des Königs Folge leistete, der seinerseits seinen Söhnen und Enkeln niemals verziehen hätte, was er mit so seltsamer und herausstechender Schwachheit Vendöme nachsah. Dessen Dickfelligkeit war unvorstellbar: Mehrmals wäre er um ein Haar entführt worden, da er sich in den Kopf gesetzt hatte, in einer zwar bequemen, doch von der Truppe weit abgelegenen Unterkunft Quartier zu nehmen, er hat die Erfolge seiner Feldzüge riskiert, beträchtliche Vorteile an den Feind vertan, weil er sich nicht entschließen konnte, ein Feldlager aufzugeben, in dem es ihm wohl war. Persönlich nahm er seine Armee selten in Augenschein; er verließ sich auf seine Vertrauten, denen er jedoch auch nicht immer Glauben schenkte. Sein Tagesablauf, den umzustülpen er nicht den Elan hatte, ließ kaum eine andere Verfahrensweise zu. Seine Unreinlichkeit war nicht zu übertreffen; er bildete sich noch etwas darauf ein: Die Tröpfe schlössen, er sei ein Mann von Einfachkeit. In seinem Bett quoll es über von Hunden und Hündinnen, die es miteinander trieben und neben ihm ihre Jungen warfen. Er selbst erlegte sich niemals den kleinsten Zwang auf. Eine seiner Behauptungen lautete, daß alle Welt dieselben Gewohnheiten habe, jedoch nicht die Courage wie er, sich damit einverstanden zu erklären; eines schönen Tages verfocht er diese Ansicht sogar vor der Prinzessin von Conti, die das akkurateste und geschmackvollste Wesen der Welt war. Er stand, wenn er bei der Armee weilte, spät auf, ließ sich auf dem Nachtstuhl nieder, diktierte von dort aus seine Korrespondenz und gab seine Tagesbefehle aus. Für jeden, der mit ihm zu schaffen hatte, das heißt die Stabsoffiziere und hochgestellte Persönlichkeiten, war dies die Zeit, mit ihm zu sprechen. An diese Schande hatte er die Armee gewöhnt. Ebendort frühstückte er üppig, oft mit zwei oder drei seiner Intimi, gab ebenso üppig wieder von sich, mochte das mitten im Essen, Zuhören, Befehl-Erteilen geschehen. Man muß durch diese beschämenden Einzelheiten hindurch, um ihn gründlich kennenzulernen. Er entleerte sich tüchtig; war das Becken zum Überlaufen voll, zog man es unter ihm weg, trug es zum Ausschütten unter den Nasen aller Anwesenden hinaus, und dies oft mehr als einmal. An den Tagen, an denen rasiert wurde, diente dasselbe Becken, in das er sich soeben erleichtert hatte, als Rasierschüssel, Das war, seiner Meinung nach, eine Sittenstrenge, die der alten Römer würdig wäre.   - Herzog von Saint-Simon, Memoiren. Übs. Hans Pleschinski, in: Der Rabe 15, Zürich 1986 (zuerst ca. 1750)
 
 

 

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