Geschlechterrollen, natürliche  Die Frau will herrschen, der Mann beherrscht sein (vornehmlich vor der Ehe). Daher die Galanterie der alten Ritterschaft. - Sie setzt früh in sich selbst Zuversicht zu gefallen. Der Jüngling besorgt immer zu mißfallen und ist daher in Gesellschaft der Damen verlegen (geniert). - Diesen Stolz des Weibes, durch den Respekt, den es einflößt, alle Zudringlichkeit des Mannes abzuhalten, und das Recht, Achtung vor sich, auch ohne Verdienste, zu fordern, behauptet sie schon aus dem Titel ihres Geschlechts. - Das Weib ist weigernd, der Mann bewerbend; ihre Unterwerfung ist Gunst. - Die Natur will, daß das Weib gesucht werde; daher mußte sie selbst nicht so delikat in der Wahl (nach Geschmack) sein, als der Mann, den die Natur auch gröber gebaut hat, und der dem Weibe schon gefällt, wenn er nur Kraft und Tüchtigkeit zu ihrer Verteidigung in seiner Gestalt zeigt; denn wäre sie in Ansehung der Schönheit seiner Gestalt ekel und fein in der Wahl, um sich verlieben zu können, so müßte sie sich bewerbend, er aber sich weigernd zeigen; welches den Wert ihres Geschlechts, selbst in den Augen des Mannes, gänzlich herabsetzen würde. - Sie muß kalt, der Mann dagegen in der Liebe affektenvoll zu sein scheinen. Einer verliebten Ausforderung nicht zu gehorchen, scheint dem Manne, ihr aber leicht Gehör zu geben, dem Weibe schimpflich zu sein. - Die Begierde der letzteren, ihre Reize au alle feine Männer spielen zu lassen, ist Koketterie; die Affektation, in alle Weiber verliebt zu scheinen, Galanterie; beides kann ein bloßes zur Mode gewordenes Geziere, ohne alle ernstliche Folge sein: so wie das Cicisbeat, eine affektierte Freiheit des Weibes in der Ehe, oder das gleichfalls ehedem in Italien gewesene Courtisanenwesen (in der historia concilii Tridentini heißt es unter andern: erant ibi etiam 300 honestae meretrices, quas cortegianas vocant*); von dem man erzählt, daß es mehr geläuterte Kultur des gesitteten öffentlichen Umgangs enthalten habe, als die der gemischten Gesellschaften in Privathäusern. - Der Mann bewirbt sich in der Ehe nur um seines Weibes, die Frau aber um aller Männer Neigung; sie putzt sich nur für die Augen ihres Geschlechts aus Eifersucht andre Weiber in Reizen oder im Vornehmtun zu übertreffen; der Mann hingegen für das weibliche; wenn man das Putz nennen kann, was nur so weit geht, um seiner Frau durch seinen Anzug nicht Schande zu machen. - Der Mann beurteilt weibliche Fehler gelind, die Frau aber (öffentlich) sehr strenge, und junge Frauen, wenn sie die Wahl hätten, ob ihr Vergehen von einem männlichen oder weiblichen Gerichtshofe abgeurteilt werden solle, würden sicher den ersten zu ihrem Richter wählen. - Wenn der verfeinerte Luxus hoch gestiegen ist, so zeigt sich die Frau nur aus Zwang sittsam und hat kein Hehl zu wünschen, daß sie lieber Mann sein möchte, wo sie ihren Neigungen einen größern und freieren Spielraum geben könnte; kein Mann aber wird ein Weib sein wollen.

Sie fragt nicht nach der Enthaltsamkeit des Mannes vor der Ehe; ihm aber ist an derselben auf seilen der Frauen unendlich viel gelegen. - In der Ehe spotten Weiber über Intoleranz (Eifersucht) der Männer überhaupt: es ist aber nur ihr Scherz; das unverehlichte Frauenzimmer richtet hierüber mit großer Strenge. - Was die gelehrten Frauen betrifft: so brauchen sie ihre Bücher etwa so wie ihre Uhr, nämlich sie zu tragen, damit gesehen werde, daß sie eine haben; ob sie zwar gemeiniglich still steht oder nicht nach der Sonne gestellt ist.  

*  »es gab dort auch 300 vornehme Dirnen, die man Kurtisanen nennt«.

  - Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (zuerst 1798/1800)

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