Dreh sie rum, dreh sie rum,
hinten ist sie keusch
und frumm.
Derselbe Lyriker brach neulich eine Lanze für das Gesäß als Erkennungsmerkmal, als gesichtsvertretende, ja, gesichtsablösende Filialstelle des einmaligen unverwechselbaren Ich. Seine Frau, eine ebenfalls zeitgenössische Lyrikerin, fragte darauf, wo der Hintere denn Augen hätte; sie selbst sähe Menschen immer noch am liebsten in die Augen, die ja doch - da hätten die Alten recht - eine Art Seelenspiegel wären. Der Streit wurde nicht entschieden, und so gibt es heute nach wie vor Kameraleute, die sich mit Gesichtern abgeben, Analphabeten, die eine Frau am Gesäß nicht wiedererkennen, und Dichter, die vor der größeren Muskelvielfalt des Kopfes und vor dem höheren Wert der von ihm eingeschlossenen Massen abergläubischen Respekt haben.
Die Keuschheit des Hinteren ist ein bestechender Gedanke. Die naive Anschauung
gibt diesem Gedanken zunächst recht. Opportunismus, Käuflichkeit,
Aggression sind den Zügen des Neo-Gesichtes fremd. Kein Gesäß
ist geizig, keines neidig. Gegen Speichellecker verhält es sich strikt
passiv. Bei Mißwahlen vergleiche man die edle Ruhe der Gesäße
mit der Siegesgier der Gesichter. Kein Gesäß, das einen Ministersessel
drückt, ist je ein Arschloch. An der verlogensten Maitresse ist der Hintere
eitel Wahrheit, und wenn er liebt, liebt er.
Allerdings: die Gerichtsmedizin lehrt uns, daß auch im Neo-Gesicht Laster
allmählich Spuren hinterlassen. Und wer weiß, ob Menschen, die die
Afterphysiognomie besser beherrschten als wir Gesichtsidioten, nicht da und
dort die flüchtige oder bleibende Aufzeichnung eines politischen Fehlers
oder einer Lebenslüge entdecken würden. Wäre der Hintere demnach
nur so weit "keusch und frumm", als es das Kamasutram vor seiner Übertragung
aus dem Sanskrit war? -
(oko)
Gesäß (2) »Guck mal!« schnatterte die Frau Mäs der Frau Bäs ins Ohr »Was hat unsere Frau Tricktracktrilljäs für ein dickes Gesäß!«
Hätten sie ahnen können, was die nächste Zukunft unter de Schürze trug, sie hätten wohl nicht so lieblos geurteilt über die körperlichen Verhältnisse einer Freundin, welche nun bald ebenso tot sein sollte wie sie selber. Die freundliche Bauersfrau nämlich trat aus der Türe des Hauses, lockte unter dem Vorwande von Brotkrumen die Schnabeltiere in den Küchenraun und hackte ihnen die Köpfe ab.
Sie hackte sich aber auch, weil sie natürlich mal wieder zu hastig war, dabei in den Zeigefinger. Das Beil war rostig. Der Finger verdickte sich. Schon zeigten sich alle Symptome einer geschwollenen Blutwurst.
Der Dokter kam. Er wußte Bescheid. Erst schnitt er ihr den Finger ab, aber
es half nicht; dann ging er höher und schnitt ihr den Ärmel ab, aber es half
nicht; dann schnitt er ihr den Kopf ab, aber es half
nicht; dann ging er tiefer und schnitt ihr die Trikottaille ab, und dann schnitt
er ihr die wollenen Strümpfe ab, aber es half nicht; als er aber an die empfindlichen
Hühneraugen kam, vernahm man einen durchdringenden
Schrei, und im Umsehn war sie tot. -
Wilhelm Busch, Eduards Traum. In: Teufelsträume. Phantastische Geschichten des
19. Jahrhunderts. Hg. Horst Heidtmann. München 1983 (dtv weltliteratur 2118)
Gesäß (3) Beim Gesäß vergißt du, daß deine Freundin mager ist. Auch das dünne Menschlein hat dort eine Breite, die dich schlägt, eine Fülle, die den Schrecken von hartem Lager, von Brautstand ohne Braut, von logistikdürrem Sex hinwegquellt. (Erinnerst du dich, wie dich als Kind Kissen enttäuschten, die unter deinem Kopf flachfielen; wie du dir dann einhüllende Kissen gar nicht mehr vorstellen konntest, und wie du dann das erste gutgeflaumte vor Begeisterung bissest, wortbesiegende Hustlaute aus dir herausdrückend?)
Auch das Gesäß deiner Elfe ist Prachtsteiß der Hottentottin,
wenn nur du genug Pars-pro-toto-Talent hast und ein Stengelchen Suppensafran
dir authentisch die Weltreise ersetzt. - (oko)
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