Generationendiskurs - Ich war schon gut zwanzig Jahre nicht mehr hier oben, sagte Charles. Obwohl ich oft Leute hierher gefahren hab. Zazie ist das ganz wurscht.

- Sie lachen nicht oft, sagte sie zu ihm. Wie alt sind Sie?

- Wie alt schätzt du mich?

- Na ja, jung sind Sie nicht: dreißig Jahre.

- Und fünfzehn dazu.

- Dann sehen Sie gar nicht so alt aus. Und Onkel Gabriel?

- Zweiunddreißig.

- Er sieht aber älter aus.

- Sag ihm das bloß nicht, sonst fängt er an zu weinen.

- Warum denn? Weil ers mit der Hormosechsualität hat?

- Wo haste denn das aufgegabelt?

- Das hat der Kerl zu ihm gesagt, zu Onkel Gabriel, der Kerl, der mich zurückgebracht hat. Er hat so gesagt, der Kerl, und daß man dafür in den Kahn kommen könnte, wegen der Hormosechsualität. Was ist denn das?

- Das ist nicht wahr.

- Doch, es ist wahr, daß er das gesagt hat, entgegnete Zazie, erbost darüber, daß man auch nur ein einziges ihrer Worte anzweifeln konnte.

- Das mein ich ja gar nicht. Ich meine, daß das nicht wahr ist, was der Kerl von Gabriel gesagt hat.

- Daß er hormosechsuell ist? Ja was heißt denn das eigentlich? Daß er Parfüm an sich macht?

- Ganz richtig. Du hasts kapiert.

- Das ist doch nichts, um ins Gefängnis zu kommen.

- Natürlich nicht.

Einen Augenblick lang träumten sie schweigend vor sich hin und betrachteten das Sacre-Cceur.

- Und Sie? fragte Zazie. Sind Sie's, hormosechsuell?

- Seh ich vielleicht aus wie n Hinterlader?

- Nein, denn Sie sind ja Chauffeur.

- Na siehst du.

- Ich seh überhaupt nichts.

- Ich werd dir doch wohl keine Zeichnung zu machen brauchen.

- Können Sie gut zeichnen?

Charles drehte sich nach der andern Seite um und verlor sich in die Betrachtung der Turmspitzen von Sainte-Clotilde, ein Werk von Gau und Ballu, dann schlug er vor:

- Wie wärs, wenn wir wieder runtergingen?

- Sagen Sie mal, fragte Zazie ohne sich zu rühren, warum sind Sie denn nicht verheiratet?

- Das ist das Leben.

- Warum heiraten Sie nicht?

- Ich hab keine gefunden, die mir gefällt. Zazie pfiff anerkennend.

- Sie sind ja wirklich n Snob, sagte sie.

- Das ist halt so. Aber sag mal, glaubst du, daß es so viele Männer geben wird, wenn du mal groß bist, die du heiraten möchtest?

- Moment, sagte Zazie, wovon reden wir denn? Von Männern oder von Frauen?

- Für mich handelts sich um Frauen und für dich um Männer.

- Das kann man doch nicht miteinander vergleichen, sagte Zazie.

- Da hast du nicht unrecht.

- Sie sind ja lustig, sagte Zazie. Sie wissen anscheinend nie so richtig, was Sie denken. Das ist doch bestimmt anstrengend. Machen Sie deshalb immer so n ernstes Gesicht? Charles geruhte zu lächeln.

- Und ich, sagte Zazie, würde ich Ihnen gefallen?

- Du bist ja noch ein Kind.

- Es gibt Mädchen, die heiraten schon mit fünfzehn Jahren, mit vierzehn sogar. Es gibt Männer, die das gern haben.

- Und ich? Würde ich dir gefallen?

— Natürlich nicht, antwortete Zazie ganz schlicht.

Nachdem er diese derbe Wahrheit geschluckt hatte, fuhr Charles mit folgenden Worten in seiner Rede fort:

- Du hast recht seltsame Ideen für dein Alter, weißt du.

- Das stimmt tatsächlich, manchmal frag ich mich, wo ich sie herhabe.

- Ich kanns dir bestimmt nicht sagen.

- Warum sagt man bestimmte Dinge und nicht was anderes?

- Wenn man das nicht sagen würde, was man zu sagen hat, würde einen keiner verstehen.

- Und Sie, sagen Sie immer das, was Sie zu sagen haben, um verstanden zu werden? - (Gebärde).

- Man ist schließlich nicht gezwungen, alles das zu sagen, was man sagt, man könnte auch was anderes sagen. - (Gebärde).

- Aber so antworten Sie doch.

- Das sind doch keine Fragen, die du da stellst. Da wird ja der Hund in der Pfanne verrückt.

- Doch, das sind Fragen. Bloß sind es Fragen, auf die Sie nichts zu antworten wissen.

- Ich glaube, ich bin noch nicht reif zum Heiraten, sagte Charles nachdenklich.

- Oh, wissen Sie, sagte Zazie, nicht alle Frauen stellen solche Fragen wie ich.

- Alle Frauen, das ist es ja, alle Frauen. Aber du bist ja noch ein kleines Gör.

- Oh, Verzeihung, ich hab schon Formen.

- Das reicht. Keine Unanständigkeiten.

- Das ist nichts Unanständiges. Das ist Leben.    - Raymond Queneau, Zazie in der Metro. Frankfurt am Main 1999 (zuerst 1959)

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