eneration
Könnte man alle Schurken kastriren und alle dummen Gänse ins Kloster
stecken, den Leuten von edelem Charakter ein ganzes Harem beigeben, und allen
Mädchen von Geist und Verstand Männer, und zwar ganze
Männer, verschaffen; so würde bald eine Generation erstehn, die ein mehr als
Perikleisches Zeitalter darstellte. - Ohne jedoch auf solche Utopische Pläne
einzugehn, ließe sich in Erwägung nehmen, daß wenn, wie es, irre ich mich nicht,
bei einigen alten Völkern wirklich gewesen ist, nach der Todesstrafe die Kastration
als die schwerste Strafe bestände, ganze Stammbäume von Schurken der Welt erlassen
seyn würden. - (
wv
)
Generation
(2) In einem kleinen Dorfe unweit Bergen in Norwegen starb
im September 1797 Joseph Surrington im 160. Jahre seines Alters. Er behielt
den ungeschwächten Gebrauch seiner Sinne und seines Verstandes bis zur Stunde
seines Todes. Tags vorher versammelte er seine Familie und teilte sein Vermögen
unter sie. Er war mehrmals verheiratet und hinterläßt eine junge Witwe
und mehrere Kinder. Sein ältester Sohn ist 103 und
der jüngste neun Jahre alt. - (
huf
)
Generation (3) Die erste und älteste - wir sprechen von den berliner Kokotten - gibt es beinahe schon gar nicht mehr. Sie hatte schon unter unserm Kaiser Wilhelm alt, fett und redlich gedient, die Korsagen platzten, dem Jüngling grausets -und man mußte schon aus Wollenhagen an der Persante kommen, um an diesen Massen ungeheurer Weiblichkeit -das Pfund achtzig Pfennige - Gefallen zu finden. Sie saßen, diluviale Anschwemmungen, in Lokalen, die meist innigaltdeutsch aufgemacht waren, mit Sinnsprüchen an den Wänden und vergoldeten Trompetern von Säckingen, die blusen: Behüt dich Gott ... Die richtige Musik spielte Wagnern und Militärmärsche, sie aber sahen wie leicht entartete Schlächterfrauen aus. »Mit was kommste denn riba, Do -?« Es waren die Stützen von Thron und Altar. Aber keine schönen. Ein Öldruck.
Die zweite Generation stammt noch aus der Zeit der großen landwirtschaftlichen
Wochen, da sich der durch frisches Wetter und alten Rotwein gerötete olle
ehrliche Landmann von Stallgeruch, Frau und Hypotheken in Berlin erholte, in
dieser Stadt, die er zugleich haßte, verachtete und bewunderte. Das war die
Zeit, wo die Leute gemütlicher waren als heute, weil ihnen noch die Goldstücke
in der Hosentasche klimperten (man wußte doch wo und wie - es war ein so beruhigendes
Gefühl!): es war die Zeit des Metropol-Theaters und der Hofbälle. Diese Damenjahrgänge
sind schon bedeutend raffinierter als die ersten, sie wissen viel gescheiter
mit Schminke, Spitzenwäsche, Kavalieren und Beziehungen umzugehen. Die andern
waren noch erster Güte gefahren - sie fuhren Auto. Ihre Lokale trugen sich in
einem Sekt-Rokoko, das zwischen allen Louis und einem lieblichen Barock umhertaumelte,
und ihr Lebensideal sah aus wie der zweite Aktschluß im Metropol-Theater. Ihre
Eleganz war ebenso unwahrscheinlich wie ihre Lokalitäten, sie waren so ungeheuer
berlinisch, daß der Ausländer zunächst nur lachen konnte. Weil sie aber zugleich
ausgekocht waren, sah ihnen der müde Wanderer die mangelnden Qualitäten auf
kulturellem Gebiet gern nach. In diese Zeit fällt die Gründung des Palais. (Der
Kenner läßt sich heute noch lieber die Zunge abbeißen, als daß er Palais de
danse sagt. Es gibt eben nur eins: das Palais.) Zu dieser Zeit der zweiten Generation
erbrauste in Berlin eine laute Lustigkeit, die damals hetzend-amerikanisch wirkte
und uns heute leicht biedermeierisch und fast gemütlich vorkommt. »Herrgott,
müssen die Leute damals harmlos gewesen sein!« Waren sie gar nicht. Es waren
geschäftemachende, profitjagende Untertanen. 1914 zerplatzte das alles. - Kurt
Tucholsky, nach: Hans-Gerd
Koch, Kafka in Berlin. Berlin 2008
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