emütsruhe  

 

WANDERERS GEMÜTSRUHE

Übers Niederträchtige
Niemand sich beklage;.
Denn es ist das Mächtige,
Was man dir auch sage.

In dem Schlechten waltet es
Sich zu Hochgewinne,
Und mit Rechtem schaltet es
Ganz nach seinem Sinne.

Wandrer! — Gegen solche Not
Wolltest du dich sträuben?
Wirbelwind und trocknen Kot,
Laß sie drehn und stäuben.

 - Goethe, West-Östlicher Divan

Gemütsruhe (2)  Wie die zerstäubenden Tropfen des tobenden Wasserfalls mit Blitzesschnelle wechseln, während der Regenbogen, dessen Träger sie sind, in unbeweglicher Ruhe fest steht, ganz unberührt von jenem rastlosen Wechsel; so bleibt jede Idee, d.i. jede Gattung lebender Wesen, ganz unberührt vom fortwährenden Wechsel ihrer Individuen. Die Idee aber, oder die Gattung, ist es, darin der Wille zum Leben eigentlich wurzelt und sich manifestirt: daher auch ist an ihrem Bestand allein ihm wahrhaft gelegen. 2. B. die Löwen, welche geboren werden und sterben, sind wie die Tropfen des Wasserfalls; aber die leonitas, die Idee, oder Gestalt, des Löwen, gleicht dem unerschütterten Regenbogen darauf. Darum also legte Plato den Ideen allein, d. i. den species, den Gattungen, ein eigentliches Seyn bei, den Individuen nur ein rastloses Entstehn und Vergehn. Aus dem tiefinnersten Bewußtseyn seiner Unvergänglichkeit entspringt eigentlich auch die Sicherheit und Gemüthsruhe, mit der jedes thierische und auch das menschliche Individuum unbesorgt dahin wandelt zwischen einem Heer von Zufällen, die es jeden Augenblick vernichten können, und überdies dem Tod gerade entgegen: aus seinen Augen blickt inzwischen die Ruhe der Gattung, als welche jener Untergang nicht anficht und nicht angeht. Auch dem Menschen könnten diese Ruhe die unsichern und wechselnden Dogmen nicht verleihen. Aber, wie gesagt, der Anblick jedes Thieres lehrt, daß dem Kern des Lebens, dem Willen, in seiner Manifestation der Tod nicht hinderlich ist. Welch ein unergründliches Mysterium liegt doch in jedem Thiere! Seht das nächste, seht euern Hund an: wie wohlgemuth und ruhig er dasteht! Viele Tausende von Hunden haben sterben müssen, ehe es an diesen kam, zu leben. Aber der Untergang jener Tausende hat die Idee des Hundes nicht angefochten: sie ist durch alles jenes Sterben nicht im Mindesten getrübt worden. Daher steht der Hund so frisch und urkräftig da, als wäre dieser Tag sein erster und könne keiner sein letzter seyn, und aus seinen Augen leuchtet das unzerstörbare Princip in ihm, der Archaeus [die Urkraft]. Was ist denn nun jene Jahrtausende hindurch gestorben? - Nicht der Hund, er steht unversehrt vor uns; bloß sein Schatten, sein Abbild in unserer an die Zeit gebundenen Erkenntnißweise. Wie kann man doch nur glauben, daß Das vergehe, was immer und immer da ist und alle Zeit ausfüllt?   - (wv)
 
Gemüt
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