emütsleben
Wir hatten Platz, da für uns - meinen Hüter und
mich - ein Coupé reserviert war, das von beiden Seiten abgeschlossen wurde.
Vor der Abfahrt winkte der eine der Kriminaler noch zwei Herren, für die aufgeschlossen
wurde, zwei Kollegen von ihm, die offenbar hamstern fuhren. Der eine mit typischem
Polizeigesicht, eingedrücktes Gesicht, leblose Augen, großes zu allem entschlossenes
Kinn und brutale Hände, hatte ein 10jähriges Söhnchen bei sich, der andere,
ein älterer, der nach meinem Ansehen eher Delinquent als Schutzmann schien,
begrüßte mich als alten Bekannten. Auf meine Frage, ob er vielleicht mal bei
mir war, erwiderte er, er kenne mich von Versammlungen her. Während der 5stündigen
Fahrt las ich in Maximilian Hardens prachtvollem »Krieg und Frieden«
und hörte brockenweise den Gesprächen der Polizeibeamten zu, die sich über die
Siege im Westen freuten und meistenteils fachsimpelten. Eine Mundharmonika war
auch da und mein Transporteur blies darauf lauter sentimentale Lieder,
was mich das Gemütsleben der Beamten kennen lehrte. Mein Freund schwärmte
im Anschluß an diesen Kunstgenuß von Fotzhobelkunst. - Erich an
Zenzi Mühsam, 28. April 1918, nach: E. M., Zur Psychologie der Erbtante.
Satirisches Lesebuch 1900 - 1933. Berlin 1985 (Eulenspiegel-Verlag)
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