emeinschaft  Ich gestehe, daß ich sehr geneigt sei, das Dasein immaterieller Naturen in der Welt zu behaupten, und meine Seele selbst in die Klasse dieser Wesen zu versetzen. Alsdenn aber: wie  geheimnisvoll wird nicht die Gemeinschaft zwischen einem Geiste und einem Körper ? aber wie natürlich ist nicht zugleich diese Unbegreiflichkeit, da unsere Begriffe äußerer Handlungen von denen der Materie abgezogen worden und jederzeit mit den Bedingungen des Druckes oder Stoßes verbunden sein, die hier nicht statt finden ? Denn wie sollte wohl eine immaterielle Substanz der Materie im Wege liegen, damit diese in ihrer Bewegung auf einen Geist stoße, und wie können körperliche Dinge Wirkungen auf ein fremdes Wesen ausüben, das ihnen nicht Undurchdringlichkeit entgegen stellet, oder welches sie auf keine Weise hindert, sich in demselben Räume, darin es gegenwärtig ist, zugleich zu befinden ? Es scheinet, ein geistiges Wesen sei der Materie innigst gegenwärtig, mit der es verbunden ist, und würke nicht auf diejenige Kräfte der Elemente, womit diese untereinander in Verhältnissen sein, sondern auf das innere Principium ihres Zustandes. Denn eine jede Substanz, selbst ein einfaches Element der Materie muß doch irgend eine innere Tätigkeit als den Grund der äußerlichen Wirksamkeit haben, wenn ich gleich nicht anzugeben weiß, worin solche bestehe.* Anderer Seits würde bei solchen Grundsätzen die Seele auch in diesen inneren Bestimmungen als Wirkungen den Zustand des Universum anschauend erkennen, der die Ursache derselben ist. Welche Notwendigkeit aber verursache, daß ein Geist und ein Körper zusammen Eines ausmache, und welche Gründe bei gewissen Zerstörungen diese Einheit wiederum aufheben, diese Fragen übersteigen nebst verschiedenen andern sehr weit meine Einsicht, und wie wenig ich auch sonst dreiste bin, meine Verstandesfähigkeit an den Geheimnissen der Natur zu messen, so bin ich gleichwohl zuversichtlich gnug, keinen noch so fürchterlich ausgerüsteten Gegner zu scheuen (wenn ich sonsten einige Neigung zum Streiten hätte), um in diesem Falle mit ihm den Versuch der Gegengründe im Widerlegen zu machen, der bei den Gelehrten eigentlich die Geschicklichkeit ist, einander das Nichtwissen zu demonstrieren.

* Leibniz sagte, dieser innere Grund aller seiner äußeren Verhältnisse und ihrer Veränderungen sei eine Vorstellungskraft, und spätere Philosophen empfingen diesen unausgeführten Gedanken mit Gelächter. Sie hätten aber nicht übel getan, wenn sie vorhero bei sich überlegt hätten, ob denn eine Substanz, wie ein einfacher Teil der Materie ist, ohne allem inneren Zustande  möglich sei, und wenn sie denn diesen etwa nicht ausschließen wollten, so würde ihnen obgelegen haben, irgend einen andern möglichen innern Zustand zu ersinnen, als den der Vorstellungen und der Tätigkeiten, die von ihnen abhängend sein. Jedermann sieht von selber,  daß, wenn man auch den einfachen Elementarteilen der Materie ein Vermögen dunkler Vorstellungen zugesteht, daraus noch keine Vorstellungskraft der Materie selbst erfolge, weil viel Substanzen von solcher Art, in einem Ganzen verbunden, doch niemals eine denkende Einheit ausmachen können. - Immanuel Kant, Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik (1766)

Gemeinschaft (2)  Sie  behaupten, daß die harte Armut die Menschen feil, hinterlistig, verschlagen, diebisch, hinterhältig, landflüchtig, lügnerisch, meineidig usw. mache, der Reichtum aber unmäßig, hochmütig, unwissend, verräterisch, grundlos eingebildet, prahlerisch, gefühllos, streitsüchtig usw. Die echte Gemeinschaft aber mache alle zugleich reich und arm: reich, weil sie alles haben, arm, weil sie nichts besitzen; und dabei dienen sie nicht den Dingen, sondern die Dinge dienen ihnen.  - Tommaso Campanella, Der Sonnenstaat. In: Der utopische Staat. Reinbek bei Hamburg 1970 (rk 68/69, zuerst 1602)

Gemeinschaft (3)  Aus Amerika kamen Briefe an meine Mutter, in denen man ihr besonders billig den Beitritt zu einer weltumfassenden «mystischen» Gemeinschaft anbot. Für nur 12 Dollar offerierte man ihr sofortiges Lebensglück und das Gelingen aller ihrer Pläne, ferner Erfolg und dadurch Reichtum bis ins höchste Lebensalter. Denn, so hieß es in jenem erstaunlichen Brief, das Paradies sei hier auf Erden, der unterzeichnete Meister Knowles habe den Schlüssel dazu und könne daher für einen ganz lächerlichen Betrag («Nur 12 Dollar — bitte senden Sie es noch heute, damit Sie morgen gleich mit dem neuen Glücklichsein beginnen können!») meiner Mutter Einlaß gewähren. - George Grosz, Ein kleines Ja und ein großes Nein. Sein Leben von ihm selbst erzählt. Reinbek bei Hamburg 1986, zuerst 1955

Gemeinschaft (4)  Siehst du, ich kann nicht überall und mit jedem mitmachen: und eine angeborene Scheu schließt mich aus von ihrer Freimaurerei des... und des Schwindelns und Hänselns und Pumpens und Zotenreißens. Und dies trotz meiner rückhaltlosen Sympathie für all die funktionale Unbefangenheit, der sie frönen. In unseren überfüllten Unterkünften müssen wir unvermeidlich gerade jene körperlichen Unzulänglichkeiten miteinander teilen, die im bürgerlichen Leben verheimlicht werden. Mit der sexuellen Aktivität wird naiv geprahlt, und jede überdurchschnittliche Ausprägung des sexuellen Appetits oder des Organs wird neugierig breitgewalzt. Das Militär fördert ein solches Verhalten. An allen Latrinen im Lager fehlen die Türen. »Wenn sie das kleine ... gemeinsam machen, gemeinsam schlafen und...«, grinste der alte Jock Mackay, der Chefausbildcr, »dann werden sie natürlich auch gemeinsam Griffe kloppen.« - T. E. Lawrence, nach Erving Goffman, Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen. Frankfurt am Main 1973 (zuerst 1961)

Gemeinschaft (5)  Die Neue Gemeinschaft, die im Einzel- wie im Gesamtleben der ihr Angehörigen die sozialen, künstlerischen und religiösen Ideale der modernen Kultur zu verwirklichen strebt, hat im Laufe der zwei letzten Jahre eine Reihe von Festen veranstaltet. Frühlings- und Sonnenaufgangsfeste, Feste des Todes und der Freude, Nachtfeiern usw., -Weihe- und Weltanschauungsfeste, in denen die Erkenntnisse, Gefühle und Ideale des modernen Menschen zum Ausdruck gelangen sollen. Sinn und Bedeutung dieser Feste geht darauf hinaus, den Menschen mit den vollkommensten Vorstellungen von seinem Leben zu erfüllen. Aus unserem dumpfen Hinvegetieren, aus den engen und verworrenen Auffassungen, den Sorgen und Fürchten des alltäglichen Lebens wollen sie uns zu den ewigen Höhen des Geistes emporheben, wo wir mit gesammelter Seele die Welt rein anschauen und unseres unzerstörbaren Allseins in allen Dingen und  durch alle Dinge bewußt werden. Sie wollen dem modernen Menschen ein Ersatz sein für die alten religiösen Feiern, die mit dem Verfall der alten Religionen und Kulturen für ihn Inhalt und Bedeutung verloren haben. Denn der ewige, tiefste und künstlerische Drang der Menschheit verlangte zu allen Zeiten und an allen Orten nach solchen Weihefesten des Lebens, an denen wir uns unserer Beziehungen zu den Unendlichkeiten des Daseins bewußt werden. In mystischen Feiern, in Götter-und Naturfesten brachte der Mensch in bedeutsamen Symbolen seine kosmogonischen Vorstellungen zum Ausdruck und erfüllte seine Seele mit den reinen Stimmungen, deren wir mehr als jeder andern bedürfen, um die Widerwärtigkeiten und Bitternisse des Lebens zu ertragen. Auch das Kind der Gegenwart bedarf dieser Feiern, und sie neu zu erwecken, mit neuem Geist und Inhalt zu erfüllen, das ist eins der Ziele, die sich die »Neue Gemeinschaft« gesetzt hat.

Für das Jahr 1903 sind folgende Feste geplant:

25. Januar: Das Tao-Fest.
Für die Nacht vom 21.  zum 22. Februar: Neue Dionysien (Trachten-Fest)
22. März: Das Fest der Frühlingsstürme
13. April: Das Fest der Versöhnungen
21. Mai: Das Fest der Seligen
21. Juni: Sonnwendtag
Für die Nacht vom 25. zum 26. Juli: Unendlichkeit
23. August: Das Fest der Schönheit
20. September: Das Fest des Friedens
18. Oktober: Das Fest der Erfüllung
18. November: Das Fest des Todes
26. Dezember: Das Fest der Selbsterlösung

-  Aus: Zurück o Mensch zur Mutter Erde. Landkommunen in Deutschland 1890 - 1933. Hg. Ulrich Linse. München 1983

Gemeinschaft (6)  Wir sind fünf Freunde, wir sind einmal hintereinander aus einem Haus gekommen, zuerst kam der eine und stellte sich neben das Tor, dann kam oder vielmehr glitt, so leicht wie ein Quecksilberkügel-chen gleitet, der zweite aus dem Tor und stellte sich unweit vom ersten auf, dann der dritte, dann der vierte, dann der fünfte. Schließlich standen wir alle in einer Reihe. Die Leute wurden auf uns aufmerksam, zeigten auf uns und sagten: »Die fünf sind jetzt aus diesem Haus gekommen.« Seitdem leben wir zusammen, es wäre ein friedliches Leben, wenn sich nicht immerfort ein sechster einmischen würde. Er tut uns nichts, aber er ist uns lästig, das ist genug getan; warum drängt er sich ein, wo man ihn nicht haben will ? Wir kennen ihn nicht und wollen ihn nicht bei uns aufnehmen. Wir fünf haben früher einander auch nicht gekannt, und wenn man will, kennen wir einander auch jetzt nicht, aber was bei uns fünf möglich ist und geduldet wird, ist bei jenem sechsten nicht möglich und wird nicht geduldet. Außerdem sind wir fünf und wir wollen nicht sechs sein.

Und was soll überhaupt dieses fortwährende Beisammensein für einen Sinn haben, auch bei uns fünf hat es keinen Sinn, aber nun sind wir schon beisammen und bleiben es, aber eine neue Vereinigung wollen wir nicht, eben auf Grund unserer Erfahrungen. Wie soll man aber das alles dem sechsten beibringen, lange Erklärungen würden schon fast eine Aufnahme in unsern Kreis bedeuten, wir erklären lieber nichts und nehmen ihn nicht auf. Mag er noch so sehr die Lippen aufwerfen, wir stoßen ihn mit dem Ellbogen weg, aber mögen wir ihn noch so sehr wegstoßen, er kommt wieder. - (kaf)

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