eisterseher  Es lebt zu Stockholm ein gewisser Herr Schwedenberg, ohne Amt oder Bedienung, von seinem ziemlich ansehnlichen Vermögen. Seine ganze Beschäftigung besteht darin, daß er, wie er selbst sagt, schon seit mehr als zwanzig Jahren mit Geistern und abgeschiedenen Seelen im genauesten Umgange stehet, von ihnen Nachrichten aus der andern Welt einholet und ihnen dagegen welche aus der gegenwärtigen erteilt, große Bände über seine Entdeckungen abfaßt und bisweilen nach London reiset, um die Ausgabe derselben zu besorgen. Er ist eben nicht zurückhaltend mit seinen Geheimnissen, spricht mit jedermann frei davon, scheint vollkommen von dem, was er vorgibt, überredet zu sein, ohne einigen Anschein eines angelegten Betruges oder Scharlatanerei. So wie er, wenn man ihm selbst glauben darf, der Erzgeisterseher unter allen Geistersehern ist, so ist er auch sicherlich der Erzphantast unter allen Phantasten, man mag ihn nun aus der Beschreibung derer, welche ihn kennen, oder aus seinen Schriften beurteilen. Doch kann dieser Umstand diejenige, welche den Geistereinflüssen sonst günstig sein, nicht abhalten, hinter solcher Phantasterei noch etwas Wahres zu vermuten. Weil indessen das Kreditiv aller Bevollmächtigten aus der andern Welt in den Beweistümern besteht, die sie durch gewisse Proben in der gegenwärtigen von ihrem außerordentlichen Beruf ablegen, so muß ich von demjenigen, was zur Beglaubigung der außerordentlichen Eigenschaft des gedachten Mannes herumgetragen wird, wenigstens dasjenige anführen, was noch bei den meisten einigen Glauben findet.

Gegen das Ende des Jahres 1761 wurde Herr Schwedenberg zu einer Fürstin gerufen, deren großer Verstand und Einsicht es beinahe unmöglich machen sollte, in dergleichen Fällen hintergangen zu werden. Die Veranlassung dazu gab das allgemeine Gerüchte von denen vorgegebenen Visionen dieses Mannes. Nach einigen Fragen, die mehr darauf abzielten, sich mit seinen Einbildungen zu belustigen, als wirkliche Nachrichten aus der andern Welt zu vernehmen, verabscheidete ihn die Fürstin, indem sie ihm vorher einen geheimen Auftrag tat, der in seine Geistergemeinschaft einschlug. Nach einigen Tagen erschien Herr Schwedenberg mit der Antwort, welche von der Art war, daß solche die Fürstin, ihrem eigenen Geständnisse nach, in das größeste Erstaunen versetzte, indem sie solche wahr befand, und ihm gleichwohl solche von keinem lebendigen Menschen konnte erteilt sein.   - Immanuel Kant, Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik (1766)

Geisterseher (2)  Swedenborg ist der «Buddha des Nordens». «Wie dunkel und weitschweifig auch seine Bücher sein mögen, es finden sich darin Elemente einer grandiosen Gesellschaftsdeutung. Seine Theokratie ist erhaben, und seine Religion ist die einzige, die ein überlegener Geist annehmen kann. Er allein bringt uns in Berührung mit Gott, er erregt den Durst nach Gott, er hat Gottes Majestät aus den Windeln befreit, mit denen die anderen menschlichen Kultformen sie umwickelt hatten; er hat ihn da belassen, wo er ist, indem er um ihn seine unzähligen Schöpfungen und Geschöpfe gravitieren ließ durch sukzessive Verwandlungen, die eine unmittelbarere und natürlichere Zukunft sind als die katholische Ewigkeit. Er hat Gott von dem Vorwurf gereinigt, den ihm die zärtlichen Seelen wegen der ewigen Dauer der Züchtigungen machen, mit denen er die Fehler eines Augenblicks bestraft: - welches System ohne Gerechtigkeit und ohne Güte ist.»  - Balzac, nach: Ernst Robert Curtius, Balzac. Bern 1951

Geisterseher (3) 


Geister sehen Wahrnehmung, übersinnliche 

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