- Johann Beer, Vorwort zu: Der Ritter Hopfensack.
In: J.B., Der politische Bratenwender. München 1984 (dtv klassik 2130,
zuerst ca. 1680)
Geiger (2) Er ist mager und groß, hat ein
ausgelebtes, knochiges Gesicht, ist Engländer,
hat die Universität besucht, erbte von seinem Vater 50 000 Pfund, verließ
die Universität und wolte Geigenvirtuose werden. Er spielte so gut, daß
ihn ein Okkultist auf die Idee brachte, mit Geigenspiel zu hypnotisieren.
Er betrieb diese Tätigkeit zuerst sehr ernst, produzierte sich in okkultistischen
spiritistischen Zirkeln, bis er einsah, daß er mit seinem Spiel eine ganz
gute Nummer fürs Varieté abgeben könnte. Er bereiste verschiedene Länder
und erkannte aus manchem Mißerfolg, daß seine Nummer unzulänglich war,
worauf er nach Indien reiste und zehn Jahre verschollen
war. Was er in Indien trieb, weiß niemand. Aber plötzlich tauchte er in
London auf und nannte sich Saint Germain II. er arrangierte in dem größten
Saal von London eine Séance, zu der er eine große Gesellschaft von Gelehrten
einlud. Die Séance verlief folgendermaßen; Er starrte 15 Minuten lang die
Anwesenden an, zwang das Publikum, auch ihn anzuschauen, dann lud er einige
Gelehrte auf die Bühne und sagte: "Jetzt bin ich ein Henker".
- Die Anwesenden erzitterten. - Saint Germain II. stand im roten Henkerkleid
da. Er sagte: "Jetzt habe ich eine Hacke in der Hand und hacke die
Köpfe derjenigen ab, die auf der Bühne stehen." - Alles brüllte auf,
man sah die Köpfe rollen, man sah Blut, im Raum
wurde es schwül, die Anwesenden zitterten. Da lachte der Gaukler, alles
war verschwunden. Die Menschen standen mit
ihren Köpfen da. Saint Germain II. hatte Massenhypnose getrieben. Man wollte
ihn prügeln. Die Presse empörte sich gegen die Polizei,
weil sie ein solch unmoralisches Spiel erlaube, und Saint Germain II. mußte
aus London fliehen. Er nahm daraufhin wieder seinen bescheidenen Lorenzo=Namen
an, weilte seitdem in Italien und spielt prinzipiell nur auf Vorstadtbühnen,
weil man, wie er mir sagt, wertvolle Dinge nicht vor die Säue werden dürfe.
- (
szi
)
Geiger (4)
Geiger (5) »Immerhin«, bemerkte er, »gab es schon fettere Geiger als Sie einer sind. Da ist zum Beispiel der berühmte Williams, der bedeutendste Virtuose seiner Zeit. Vor seinen Konzerten wurde er in einem girlandengeschmückten Karren durch die Stadt gefahren, den ein paar Ochsen zogen.«
»Wer war Williams«, stöhnte ich, um nicht zu schweigen.
»Sie brauchen ihn nicht zu beneiden«, fuhr Dagoberto mit einem seiner gierig saugenden Blicke fort, »denn der Mann fand ein betrübliches Ende. Er wurde krank, und die Ärzte verordneten ihm eine umständliche Diät. Der Umfang seines Bauchs schrumpfte daraufhin so dramatisch, daß ihm die Haut nabelabwärts wie die Lederschürze eines Schusters herunterhing.«
»Donnerwetter«, rief ich, obwohl ich ihm nicht eine Silbe glaubte.
Dagoberte faltete die Hände und bog sie nach oben, daß sämtliche Finger krachten.
»Von da an war es aus mit Vater Williams«, fuhr er fort. »Er war sogar zu
schwach, um die Geige zu halten.« -
Javier Tomeo, Unterhaltung in D-Dur. Berlin 1995
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